Die Wi(e)dereingliederung

Die Wi(e)dereingliederung

Die Rückkehr nach Deutschland

Dunkle Wolken schweben über Deutschland, als ich in Straßburg auf der Passerelle über den Rhein fahre. Ein Freudenschrei, dass ich nach zwei Jahren und drei Monaten wieder Deutschen Boden betrete, bleibt mir in der Kehle stecken. Bei dem Gedanken für längere Zeit wieder in Deutschland zu sein, ist mir gar nicht wohl.

Danke an Christine Achberger, die sich nun diesen Beitrag gewünscht und mich wieder daran erinnert hat, dass ich auch mal über die Rückkehr schreiben wollte. Nicht nur wegen den vielen Pflichten, die mich erwarteten ist es in den Hintergrund geraten. Ich schreibe halt auch lieber über nettere Dinge.

Heike Pirngruber fragte mich beim Interview, was das Schwierigste am Reisen ist. Sofort ist mir klar, dass es das Zurückkommen ist. Martin Moschek wollte wissen, was schwieriger ist, das Gehen oder das Kommen? Keine Frage, das Kommen!

Warum bin ich überhaupt zurück gekommen?

Der Hauptgrund der Rückkehr meiner zweiten Reise war die Konfirmation meines Patenkindes. Ich hatte es vor Jahren versprochen, im Mai wieder zurück zu sein. Es hat sich auch eine gewisse Müdigkeit beim Reisen eingestellt, es war deswegen kein Opfer. Ich war auf einer Seite ganz froh, das Datum und den Grund einer Rückkehr zu haben. Trotzdem, es war mir nicht wohl.

Da ich ja schon öfters zurück gekommen bin, weiß ich, ich brauche nichts zu erwarten. Das klingt ganz schön frustrierend, nicht wahr?

Radreisen / Leben in Deutschland im Vergleich

Was heißt Radreisen: Abenteuer Freiheit, jeden Tag etwas Neues sehen, neue Leute treffen, neues Lernen, jeder Tag ist anders. Es ist nicht immer Sonnenschein, es tauchen immer wieder neue Herausforderungen auf, denen man sich stellen kann, an denen man wächst, die einen im wahrsten Sinne des Wortes weiter bringen.

zurück: (fast) immer am gleichen Ort schlafen, aufstehen Kaffee machen, Schreibtisch.

Bürokratie. Versicherungen, Steuer, Banken. Nichts worüber man sich freuen kann. Alles leblose nichtssagende Formularausfüllerei. Manche verbringen damit ihr ganzes Leben und merken den Stumpfsinn nicht einmal, weil sie nichts anderes kennen.

Meiner Schwester bin ich zu tausend Dank verpflichtet. Größtenteils hat sie die Arbeit während meiner Abwesenheit, übernommen.

Nach meiner ersten längeren Reise, sechs Monate, habe ich mich nach meinem Bett gesehnt. In der ersten Nacht zu Hause konnte ich mich selbst nicht mehr verstehen, ich vermisste mein Zelt. So ist es mit vielen Dingen, die man meint auf Reisen zu vermissen. Wenn ich wieder zurück bin, vermisse ich viel mehr, vor allem die Freiheit.

Mal ganz krass verallgemeinert: Der Freiheit und Abenteuer auf Reisen steht eintöniger Alltag zu Hause gegenüber. Natürlich bringt er auch einige Annehmlichkeiten, z.B. Waschmaschine oder Dusche, mit sich. Aber wiegt es die Freiheit und alles andere auf, was man aufgibt?

Übrigens, falls jemand meint, dass ich in Selbstmitleid zergehe, muss ich ihm oder ihr recht geben. 🙂

Widerabenteur

Familie

Der Grund  für das Ende meiner ersten Reise, war der Gesundheitszustand meiner Mutter. Da hatte ich dann eine Aufgabe und eine „Daseinsberechtigung“. Ich verbrachte sehr viel Zeit mit ihr, was uns beiden sehr gut getan hat.

Im Juni 2011 ist sie gestorben. Einen Tag nach der Beerdigung war ich bei Velotraum und habe ein neues Reiserad in Auftrag gegeben. Mich hielt hier nichts mehr.

Die Konfirmation meines Patenkindes war der Grund meiner Rückkehr meiner zweiten Reise. Danach hatte ich, außer den bürokratischen Kram wieder in Ordnung zu bringen, keine familiären Verpflichtungen. Natürlich hatte ich auch Ideen und Vorhaben, die ich bislang nur teilweise umsetzen konnte. Es standen wieder Vorträge an, die sehr viel Vorbereitung in Anspruch nahmen, für dich ich in den ersten Wochen dank Banken, Finanzamt und Krankenversicherung, keinen Kopf hatte. Ja, zugegeben, ich habe mich auch zu sehr in Selbstmitleid gebadet.

WiderFreunde

Freunde

Während meiner ersten Weltreise  fragten mich meine Freunde immer wieder, wann ich denn wieder komme und wie sehr sie mich vermissen würden. Wieder zurück in Deutschland hatte kaum jemand Zeit.

Ich habe mich verändert, meine Wertvorstellung hat sich komplett gewandelt. So wie ich manches meiner Freunde nicht verstehe, verstehen sie mich wahrscheinlich noch viel weniger.

Was erstaunlicherweise bei richtigen Freunden keine Rolle spielt, solange man noch Interesse aneinander hat. Man hat doch eine gemeinsame Vergangenheit. Jetzt habe ich weniger Kontakt zu Freunden, dafür sind sie intensiver.

Wenn ich gefragt werde, ob ich meine Freunde auf Reisen nicht vermisse, habe ich meist ein schlechtes Gefühl, wenn ich offen und ehrlich sage: Nein. Es passiert so viel auf Reisen. Man ist mit etwas ganz anderem beschäftigt. Ich gehöre auch nicht zu der Generation, die ständig über Skype mit Daheim in Verbindung ist. Wenn ich weg bin, bin ich weg und möchte mich voll auf das Fremde einlassen. Natürlich freue ich mich über E-Mails von den Zurückgebliebenen (welch Zweideutigkeit des Wortes 🙂  )

Beruf

Mich wieder in ein Angestelltenverhältnis zu begeben, kam für mich nicht mehr in Frage. Meine letzten Chefs waren für mich mit ihrer Feigheit und Fantasielosigkeit schon vor meiner Reise schwer zu ertragen. Jetzt wäre es für mich ganz und gar unerträglich gewesen. Zu groß die Diskrepanz von dem, was sie predigen und leben. Zum Glück war ich finanziell noch nicht unter Druck unbedingt Geld verdienen zu müssen.

Nur immer die Fragen der Nachbarn und Bekannten „Haben Sie schon eine Stelle gefunden?“ „Nein, ich habe nicht einmal danach gesucht!“ Das war natürlich wie in Schlag ins Gesicht. Man muss doch an seine Rente, Alters- und Krankenversicherung  etc. denken. Nichts lag und liegt mir ferner.

Ich hatte dann auch sehr gut besuchte Vorträge, die einiges an Geld eingebracht haben. Außerdem machte ich eine Ausbildung als Coach.

Jetzt habe ich auch noch ein paar Vorträge. Mein Ziel ist es, meinen Internetauftritt zu professionalisieren und Bücher zu schreiben. Es gibt doch noch ein paar Leute, die es interessiert, was ich so mache und die von meinen Erfahrungen profitieren können.

Etwas, das ich auf meinen Reisen gelernt habe, ist, es geht immer irgendwie weiter. Auch hier wird sich noch was tun, da habe ich keine Bedenken.

WiderSchreibtisch

Wohnung

Meine Sesshaftigkeit habe ich aufgeben. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich meine Eigentumswohnung abbezahlt und vermietet habe. So kommt wenigstens ein bisschen Geld rein.

Sesshaft möchte ich noch nicht werden. Dazu bin ich viel zu jung 🙂 . Solange ich immer noch den Drang habe, in nächster Zeit wieder groß zu starten, lohnt es sich nicht, eine Wohnung wieder einzurichten.

Zwischen der ersten und der zweiten Weltreise konnte ich bei einer Freundin wohnen, in der Gegend, wo ich auch früher zu Hause war. Das war genial. Leider hat sich ihre Wohnsituation geändert. Diesmal war dies nicht mehr möglich.

Jetzt ist meine „home base“ bei einer meiner Schwestern. Ich kann wirklich nicht klagen. Sie hat eine große Wohnung und ich habe hier eine sehr gute Umgebung, in der ich arbeiten kann.

Fitness, Gesundheit

Wenn man den ganzen Tag fast nur auf dem Fahrrad sitzt, Bewegung an der frischen Luft hat, bei Wind und Wetter, Hitze und Sonnenschein, ist das Immunsystem so gestärkt, da kann einem nichts anhaben. Selbst Magenprobleme haben mich nur einmal heimgesucht. Ansonsten war ich gesund, fit und ohne großes Zutun, verliert man auch gleich wieder ein paar Kilos.

Ganz anders sieht es zurück in Deutschland aus. Wie soll man diese Fitness aufrechterhalten?

Wenn ich Fahrrad fahre habe ich absolut keine Knieprobleme. Am Schreibtisch sitzen ist eigentlich das schlimmste, was ich den Knien antun kann. Wenn ich dann laufen gehen will, komme ich nicht mehr weit. 

Fahrradfahren nur zum Selbstzweck ist für mich komisch. Ich sitze nicht aufs Fahrrad nur damit ich ein paar Kilometer runterziehen kann. Da ich kein Auto habe, ist für mich Fahrrad zuerst einmal Transportmittel und das genieße ich.

Eine Umstellung, die mir immer sehr schwer fällt, ist das Essen. Auf Reisen kann und muss ich sehr viel essen. Daheim, wo auf einmal wieder all die Köstlichkeiten zur Verfügung stehen, sollte ich das bleiben lassen. Was für ein Widerspruch. Unweigerlich nehme ich immer ein paar Kilo zu. Aber was soll’s, die nächste Reise kommt bestimmt, da ist mir der Proviant um die Hüfte sicher hilfreich.

Das Schlimmste, was mich ereilt hat, war eine Virusinfektion ein Jahr, nachdem ich wieder zurück war. Irgendwo auf meiner ersten Weltreise muss ich ein Virus eingefangen haben, der sich in meinem Magen festgesetzt und gewartet hat, bis mein Immunsystem so stark geschwächt war, dass es zuschlagen konnte. Nach der Beerdigung meiner Mutter war es dann soweit. Ich bekam über 40° Grad Fieber, und alle Gelenke auf der linken Seite schwollen an. Das war die schlimmste Krankheit, die ich je durchgemacht habe. Die Ärzte hatten auch ihre Probleme herauszufinden, was es ist. Nach sechst Wochen Antibiotika wurde ich als geheilt erklärt. Dann ging es auch wieder auf das Fahrrad. Seither gab es keine solche Zwischenfälle mehr. Auf Reisen bin ich immer rundum gesund.

Was ich hier genieße:

Im Sommer liebe ich es im Schwimmbad oder in den fantastischen Seen hier in der Ortenau zu schwimmen, im Winter ist es das Skifahren.

Hier kann ich jederjeit Flöte spielen, klassische Musik hören und ins Kino gehen. Sehr guten Wein und gutes Essen koste ich aus. Wenn ich etwas brauche, kann ich es im Internet oder in Läden kaufen. Gute Gespräche mit Freunden, Austausch von Gedanken und natürlich viel Zeit für meinen Blog und Bücher habe ich ebenfalls.

Fazit:

look at the bright sight of life!

Eigentlich sollte ich nicht so jammern. Die meisten müssen ewig hier bleiben. Ihnen fällt es sicher leichter, weil sie es nicht anders kennen. Sie wissen nicht, was sie verpassen. Beneide ich sie? Mit Sicherheit nicht.

Wie ein Vogel, der die Freiheit kennt, in Gefangenschaft aufhört zu singen, und Vögel, die in der domestizierten Umgebung aufwachsen und in der Wildnis nicht überleben können.

Es geht mir viel besser, wenn ich mir sage, ich bin hier nur auf Besuch. Darum widerstrebt es mir auch, sesshaft zu werden. Der Gedanke, jederzeit mein Fahrrad packen zu können und wieder los zu fahren, beruhigt mich ungemein. Trotzdem, ich möchte bis Ende des Jahres noch einiges hier erledigen, schreiben und aufbauen, dann geht es aber wieder los.

Als kleines Trostpflästerchen fahre ich in einer Woche mit dem Fahrrad an Atlantik und wieder zurück. Da freue ich mich schon sehr darauf. Ich werde darüber berichten.

So, jetzt bin ich mal auf all die Kommentare gespannt. Vielen geht es sicherlich ganz anders, oder nicht?

10 Gedanken zu „Die Wi(e)dereingliederung“

  1. Hallo Dorothee,

    danke dass du meinen Wunsch so schnell nachgekommen bist, auch wenn es erfreulichere Sachen gibt über die du schreiben kannst… Habe den Bericht mit grossem Interesse gelesen und hab nun eine Vorstellung bekommen was für ein mentaler Kraftakt so eine Rückkehr werden kann. Besonders mochte ich dein Fazit, „es geht immer irgendwie weiter“. Daran sollte man immer denken, wenn man mal wieder „festfährt“, im Grossen wie im Kleinen.

    Grüsse von Christine

    Antworten
    • Hallo Christine,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Es ist wichtig auch über unerfreuliches zu schreiben. Das gehört schließlich auch zum Leben. Auch auf Reisen ist nicht alles nur Sonnenschein.
      Hier macht man sich im Allgemeinen viel zu viele Sorgen, anstatt dass man das Leben genießt.

      Liebe Grüße,
      Dorothee

      Antworten
  2. Du sprichst mir aus der Seele. Für mich ist es immer schön zu lesen, dass es noch andere Leute gibt, die genauso denken wie wir. Für einen „Daheimgebliebenen“ ist es einfach nicht nachvollziehbar wieviel einem die Freiheit die man auf solchen Reisen bekommt,gibt. Das kann man nicht mit Geld, Rente oder einem grossen Auto aufwerten.
    Wir wünschen dir für deine nächste Reise alles und Gute und viel Spass beim Vorbereiten!
    Glg
    Von den 2Roadrunners on Tour

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    • Vielen Dank, Markus und Heidi, Ihr habt ja noch eine Zeit in Abenteuer und Freiheit. Vielleicht könnt Ihr Euch dann mit all den Formalitäten zu Hause herumschlagen, wenn ich wieder los ziehe 🙂

      Genießt die Tage,
      liebe Grüße,
      Dorothee

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  3. Du sprichst mir aus der Seele, das sehe ich genauso. Und bei Rückkehr fühl ich mich genauso: erst die große Vorfreude, und dann die Enttäuschung. Konsequenz: Nix wie wieder weg!!

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    • Vielen Dank, Rolf. Ja, ab enfach wieder weg koennen ist schon fantastisch. Ich bin gerade in Frankreich, auf dem Weg zum Atlantik?
      Liebe Gruesse und froeliches radeln
      Dorothee

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  4. Liebe Dorothée, Dein Artikel hat mir sehr gut gefallen. Du schreibst immer sehr gut und interessant und ich kann das alles gut nachvollziehen (oder „fast“, weil mein Leben halt „etwas“ anders ist…und ich nicht so mutig bin wie Du). Ich bin gespannt auf die Fortsetzung über die Fahrt an die französische Atlantikküste….:) und wie gesagt, hat diese Fahrt Bei G. und unserer Tochter N. grosse Lust ausgelöst, diese Strecke im Oktober auch zu fahren. Ich bin gespannt, ob sie es effektiv machen, denn nicht jede/r hat Deine Energie……Bis bald im Elsass oder sonst wo……

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    • Liebe Elke,

      vielen Dank für Deinen Kommentar.
      Mehr über meine Atlantiktour hier demnächst.
      Falls G oder N noch Fragen haben können sie sich gerne melden.

      Bis Bald,
      Dorothee

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