Trampen – Stoppen – Hitchhiken – vor 30 Jahren
so meine lieben Leser, wenn Ihr so zwischen 20 und 30 Jahre alt seid, dann muss ich Euch etwas mitteilen: Es besteht die Möglichkeit, dass Eure Eltern früher gar nicht so brav und ängstlich waren, wie ihr denkt. Sie dürften so in meinem Alter sein. Da ich keine Nachkommen habe, konnte ich mir die Freiheit erlauben, nicht „erwachsen“ zu werden, weiterhin meinen Interessen nachzugehen, einfach frei und ungebunden zu leben. Für meine Freunde, die ihre Kinder bekamen, änderte sich meistens vieles. Auf einmal war alles gefährlich, alles wurde den Kindern verboten. Heute muss ich sie manchmal daran erinnern, dass sie doch früher auch nicht besser waren. Das wollen sie natürlich nicht hören.
Ich glaube nicht, dass die Welt schlechter geworden ist. Man bekommt nur immer alles direkt online präsentiert. Dabei ist die Zahl der Mordopfer in Deutschland von 2000 bis 2013 stark zurück gegangen (von 497 auf 282). Meinem Gefühl nach, ist die Angst umgekehrt proportional gestiegen.
Als ich vor 30 Jahren in Freiburg studierte, war es für uns ganz selbstverständlich in den Heimatort zu trampen. Manchmal war ich alleine, manchmal mit anderen zusammen. Eine Mitfahrzentrale gab es über die Uni, war aber bei weitem nicht so umfangreich wie heute die Apps im Internet. Trampen war auch damals nicht ungefährlicher, Aktenzeichen XY-Ungelöst gibt es schon sehr lange.
Soweit ich weiß, gab es damals noch kein Buch über Trampen. Wir taten es einfach, quer durch Deutschland und nach Italien. Das war für uns einfach die beste Art der Fortbewegung (außer dem Fahrrad natürlich). Wenigstens der weibliche Teil hat sich mit Selbstverteidigung auseinandergesetzt- WenDo war hoch im Kurs, wobei ich gestehen muss, dass ich selbst noch nie einen Kurs gemacht habe, aber meine Freundinnen habe mich stets auf dem Laufenden gehalten haben, zum Glück.
Auch beim Trampen, oder Stoppen, wie wir es nannten, hatte ich meine Prinzipien, z.B. nie nachts. Dann musste ich doch bei Dämmerung von Tübingen wieder nach Nürtingen. Das war mir natürlich nicht recht, aber mir blieb ja nichts anderes übrig.
Auf die Idee, den Zug zu nehmen, kam ich überhaupt nicht. Also stieg ich in ein Auto mit einem Mann. Ganz automatisch, wie mir immer gesagt wurde, wenn ich mich nicht sicher fühle, machte ich die Türe nicht richtig zu, sodass ich sie sofort wieder aufmachen musste und richtig schließen. So wusste ich schon mal, wie ich die Tür im Notfall gleich auf bekomme.
Ausserdem schnallte ich mich nicht an. Meine Tasche hatte ich vorne bei mir. Dann ist er doch tatsächlich in einen Waldweg abgebogen. Das war natürlich überhaupt nicht in meinem Sinne. Da er um die Kurve musste, war er sehr langsam. So schnell konnte er gar nicht schauen, da war ich mit Wutgebrüll draußen und bin sofort auf die Straße gerannt, habe gleich das nächste Auto angehalten, mit dem sind wir ihm hinterher, konnten ihn aber nicht mehr bekommen. Ich glaube und hoffe, das hat er seither nie mehr wieder gemacht.
Das Wichtigste ist, dass man seine Angst in Wut umwandelt. Dann ist man nicht mehr das „schwache Geschlecht“, sondern zeigt Stärke. Oder man macht ganz verrückte Sachen, Quaken wie Frösche zum Beispiel. Das kann auch helfen. Auf meiner letzten Weltreise bekam ich einen Lift von einem Autofahrer mit einem alten Baustellenfahrzeug. Es ging steil den Berg nach oben, das Fahrzeug war sehr langsam.
Als er mir dann zu nahe kam, öffnete ich einfach die Tür und meinte mit einer Bestimmtheit, er solle sofort anhalten oder ich springe. Egal in welcher Sprache, in dieser Situation versteht wohl jeder, was gemeint ist. Dann sah er verängstigt aus, sagte etwas zu mir und zeigte auf eine Bucht weiter oben, denn erst da konnte er anhalten. Was er dann auch tat, ich konnte aussteigen und er lud mir sogar noch mein Fahrrad ab.
Also, ganz vorbei ist meine Tramperkarriere auch nicht, obwohl auf einmal alle Tramper von der Straße verschwunden waren. An den Autobahnauffahrten standen früher ganze Gruppen. Man musste sich richtig anstellen. Einmal habe ich sogar meinen Cousin getroffen. Es war immer sehr spaßig und unterhaltsam.
Natürlich war es meinen Eltern nicht recht, wenigstens meine Mutter hatte auch Angst um mich, aber sie wusste, dass sie mir es eh nicht verbieten konnten und vor allem, dass sie ihre Angst nicht zeigen sollten und somit auf mich übertragen. Ich brachte sogar meine Mutter dazu, mich zur Stoppstelle zu fahren.
Schon damals hörte ich immer wieder, ob ich denn keine Angst hätte, denn meine alte Tante hatte Angst.. Ich erzählte ihr dann, wie toll das ist, was für Leute man dort trifft: Anwälte, Fußballtrainer der ersten Bundesliga, Arbeiter. auf einmal war sie ganz fasziniert und meinte, ich solle ein Buch darüber schreiben. Tja, das war in den 80er Jahren, von eBooks oder Blogs noch keine Spur.
Dann hatte ich zeitweise selber ein Auto und wollte unbedingt Tramper mitnehmen, mich revanchieren. Das war mir leider nicht vergönnt. Nur einmal konnte ich zwei Koreanerinnen, die sich im Schwarzwald verirrt hatten, weiterhelfen. Nun scheint zum Glück wieder eine andere Zeit anzubrechen. Das Trampen kommt wieder in Mode, vor allem wird viel darüber geschrieben. Vielleicht treffe ich ja Jannis oder Bruder Leichtfuß mal, wenn ich ein Auto ausgeliehen habe. Auf meinem Fahrrad kann ich sie schlecht mitnehmen. Ich würde mich freuen.
Hallo Dorothee,
danke für den schönen Artikel. Finde es sehr gut, dass du ein Thema ansprichst, das völlig aus der Mode gekommen ist. Ich bin als 15-Jähriger zweimal getrampt. Einmal saßen wir für 5 Kilometer zu dritt auf einem Motorroller und einmal für eine längere Strecke in einem normalen Auto. Seitdem habe ich es aber sein lassen, obwohl ich nie schlechte Erfahrung gemacht habe. Deine Taktik mit der Tür finde ich auch sehr gut und kann in brenzligen Situationen sehr wichtig werden.
Irgendwie schwebt mir seit dem Lesen deines Artikels eine Tramptour durch den Kopf. Vielleicht sollte ich eine solche mal in Angriff nehmen, wenn ich schon nicht mit dem Fahrrad um die Welt radele.
Viele Grüße, Daniel.
Gute Idee, Daniel. Bitte berichte darüber. Mich würde interessieren, wie die Bereitschaft der Autofahrer heute ist, jemanden mitzunehmen. Also, nimm viel Zeit mit und vielleicht gleich ein Fahrrad, damit kommst Du auf jeden Fall weiter 🙂
Liebe Grüße Dorothee
Ja, das gute alte trampen. Letztes Jahr musste ich mal kurz trampen. Mittlerweile sind die auch in Südeuropa verschwunden.
Das alles gefährlich wird wenn man Kinder hat stimmt nicht. Eher das Gegenteil ist mittlerweile der Fall. Ich erinnere mich an Samstag Nacht. Tief in den Vogesen. Orkanartiger Sturm. Ich am Zelte sichern, die zwei kleinen Zwerge schliefen wie die Katzen zusammengerollt und bekamen von dem Gewitter nichts mit. Der Große bastelte etwas gegen den Wassereintritt am Dach.
Ich bin angstfrei und mobil weil ich ohne Kinder bin, ist aber auch ein arg verbreitetes und schlimmes Märchen wenn ich mich so umschaue.
Vielen Dank für den Kommentar. Ich bin auch ohne Kinder und zum Glück nicht ganz angstfrei. Wenn ich längere Zeit etwas nicht gemacht habe, zum Beispiel bei Nacht übers Feld Fahrrad fahren, vom Drei-Meter-Brett springen, kostet es das erste Mal immer mehr Überwindung.
Meiner Ansicht nach ist heute das Problem, dass die Eltern immer ängstlicher werden, angestachelt durch die Medien, und diese auf die Kinder übertragen.
Ich wünsche noch weitere schöne Abenteuer, vielleicht treffen wir uns ja mal beim Trampen.