Früher war mehr Lametta
Vor ein paar Wochen habe ich einen Aufruf gestartet. Ich suche immer noch Autoren, die von ihrer Radreise vor einigen Jahren berichten wollen.
Die erste Antwort bekam ich von Martin Moschek von Biketour-global.de, das hat mich sehr gefreut. Hier nun sein Bericht und seine fantastischen Fotos dazu:
(Ich finde Deine Frage großartig, denn vor wenigen Tagen habe ich mir genau darüber auch Gedanken gemacht.)
Ich musste an eine Radtour denken, die mich durch die Sahara nach Timbuktu führte. Damals gab es keine andere Kommunikationsmöglichkeiten mit der Heimat, als den Brief, oder ein Fax oder eben ein Telefonat. Und es hat damals 14 Tage gedauert, bis ich mal an eine Post kam, bei der ich zumindest ein Fax absetzen konnte. Früher war man in dieser Angelegenheit also mehr allein. Und das fand ich gar nicht schlimm, auch wenn es manchmal nervig war.
Natürlich ist der Blick zurück meist etwas verklärter. Ärger und Strapazen verlieren ihre Dimension und so habe ich heute oft den Eindruck, dass früher mehr Abenteuer war, mehr Lametta. Abenteuer, weil früher mehr weiße Flecken da waren. Ich bin zu einer Zeit in der Welt umhergeradelt, als es für viele Länder und Regionen keine richtigen Karten, nur spärliche Informationen anderer Reisender gab. Es war schon Abenteuer, die Reisen zu planen, da man so viele Unbekannte hatte. Und das war richtig spannend. Und unterwegs war alles Neuland. Und jede Erfahrung war wie ein großer Schatz, ein einzigartiges Wissen. Es machte mich zu einem reichen Menschen.
Aber ist es heute schlechter? Nein! Meine Art zu Reisen hat sich verändert. Früher habe ich gar keine Reiseführer gelesen und auch kaum in den damals schon existenten Foren nach Informationen gesucht. Ich habe viele Bücher und Reiseerzählungen gelesen, aber es war immer klar, dass ein Großteil meiner Reise im Entdecken bestand. Im Erobern mir unbekannter Gebiete (und meist auch noch für andere unbekannt) durch das Rad.
Heute nehme ich mir mehr Zeit für Details. Heute lese ich zwar immer noch kaum in Blogs oder Reiseführern über das Zielland, oder -gebiet. Aber ich informiere mich insoweit, als dass ich meine Ziele vor Ort mehr plane. Mich inspirieren lasse durch andere Reiseradler, die ich über das Internet kennengelernt habe, mich inspirieren lasse, von Tipps, ein Land auch alternativ zu entdecken, von den Bildern anderer..
Heute finde ich die unglaublichen Möglichkeiten sich zu informieren und zu planen, aber auch von unterwegs zu kommunizieren, spannend. Man kann fast in Echtzeit (und dank Periscope nun auch wirklich in Echtzeit) an Touren anderer teilhaben und bekommt immer und überall alle Informationen die man braucht.
Wenn ich unterwegs bin, dann ist das für mich meist auch eine technikfreie Zeit. Ich beschränke mich auf das Fotografieren und Filmen – ich versuche es. Aber ich finde es auch toll, meinen Freunden und den Menschen, die meine Touren verfolgen, von unterwegs von tollen Erlebnissen, schönen Landschaften und beeindruckenden Bildern mitteilen zu können. Ich führe so eine Art Reisedokumentation, an der ich persönlich im Nachhinein auch sehen kann, was mich gerade in diesem Moment begeistert hat, ich schön fand. Und diese Erinnerungshilfen sind immer und überall verfüg- und abruf- und teilbar.
Ich entdecke heute also immer noch die Welt neu. Denn ich entdecke sie nach wie vor für mich – und habe nun nur die Möglichkeit, andere daran teilhaben zu lassen und wiederum von anderen Tipps zu bekommen, wo sich noch mehr entdecken lässt. Es schmälert aber für mich nicht das Erlebnis, dass der Ort, das Land, die Straße vor mir bereits andere mit dem Rad gesehen und erlebt haben. Denn es ist ja immer sehr individuell, was man fühlt und sieht und interpretiert. Und das wird sich vermutlich auch nicht durch neue Technologien und Möglichkeiten ändern.
Dennoch frage ich mich, ob die permanente Verfügbarkeit von Informationen, das Wissen und Ereignisse und Hintergründe nicht auch dazu führt, dass man manchmal gar nicht losfährt bzw. bestimmte Pläne gar nicht erst macht?
Zwei Beispiele: früher bekam man kaum mit, wenn ein Reiseradler verunglückt ist. Heute bekomme ich das durch Facebook und Twitter sehr viel mehr und direkter mit. Das vervielfacht natürlich die „Angst“ und Sorge und verhindert so vielleicht eine Tour, einfach weil man mehr „Angst“ hat, loszufahren?
Oder die Tatsache, dass ich mich heute immer über die aktuellen Sicherheitssituationen vor Ort informieren kann. Früher habe ich nur schwer Informationen direkt von vor Ort bekommen können. Vielfach habe ich so gar nicht gewusst, dass gerade in dem Land Bürgerkrieg war, oder Banden ihr Unwesen trieben. Ich bin einfach rein gefahren – ohne Vorurteile und ohne durch Informationen von Reiseführern, Bloggern, Nachrichtenseiten ein Bild zu haben, welches eben trotzdem nur meist einseitig ist – negativ, als auch positiv. Gestern habe ich mich über den Kongo informiert. Und dort nur Mord und Totschlag (in beiden Kongos) gelesen. Und da kam mir genau dieser Gedanke: früher wärest du einfach hingefahren. Ohne nachzudenken, ohne Schere und Schranken im Kopf. Heute fängst du nicht mal die Planung an, das Bewegen dieser Idee im Kopf.
Und so merke ich nun am Ende meines Beitrages, dass ich doch sagen kann: früher war mehr Lametta, denn früher hatte ich einfach weniger Schranken im Kopf, da ich weniger Informationen hatte. Dadurch gab es früher mehr Abenteuer. Aber es wäre nun viel zu einfach zu sagen: das Internet ist Schuld. Ich bin es, der sich von der Allverfügbarkeit von Kommunikation und Information vielleicht auch nur aufhalten lässt.
Und vielleicht beginnt das Abenteuer diesmal, wenn man diesen Möglichkeiten entsagt und wie früher einfach losfährt?!
Martin Moschek von BikeTour-Global ist seit 1991 mit dem Fahrrad auf der ganzen Welt unterwegs. Insgesamt war er in 47 Länder, über 58.000 km, noch nicht müde…In der Zwischenzeit auch am Liebsten alleine.
sehr toller Bericht… kann ich ganz gut nachvollziehen..ob nun mit Rad oder ohne Rad…und wenn ich das so lese, bekomme ich wirklich Wehmut…ja Wehmut zu reisen wie früher, ohne Schranken im Kopf… Ob das nun durch die Informationsmöglichkeit oder veränderte Lebenssituation (Familie und Verantwortung) kommt, kann ich nicht so richtig beurteilen.. Aber die Schranken im Kopf sind heute deutlich grösser als früher…
Danke nochmal für den super tollen Bericht
Vielen Dank, liebe Manu. Du hast doch auch noch viel zu erzählen, von der „schrankenlosen“ Zeit. 🙂
Was für eine nette Idee, Gastautoren einzuladen.
Ich bin so gespannt, ob mir das Radreisen gefallen wird. Die Tage wird das Fahrrad leicht umgebaut und nächste Woche möchte ich die Taschen bestellen. Dann dürfte ich alles beisammen haben… und dabei radle ich nur um den Bodensee
Wenn Eure Berichte nicht so inspirierend gewesen wären…
Vielen Dank. Wenn Du Lust hast, kannst Du hier ja auch einen Gastartikel veröffentlichen: „Meine erste Radtoure“.
Mich würde es auf jeden Fall freuen, wenn ich danach über Deine Erfahrungen hören würde. Wurden Deine Erwartungen erfüllt, oder nicht, oder übertroffen? Was hat Dir nicht so gefallen, usw.
Falls es Dir sehr gut gefällt, kannst Du ja den Rheintalradweg gleich weiter fahren 🙂
Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Spass.
Wow, Doro, was für eine Einladung.
Das mache ich gerne!
Danke!
Bitte, bitte. Ich freue mich schon auf Deinen Bericht. Dafür bekommst Du dann ein paar Tipps gratis 🙂
Na, das ist doch ein Wort 🙂
HI Martin, ist es nicht aber vielleicht auch so, dass Du aelter geworden bist und daher mehr Bedenken hast? Geht ein 20 Jaehriger heute nicht immer noch so in die Welt hinaus, ohne sich grossartig vorzubereiten?
Und erlebt man als 20 Jaehriger Dinge nicht auch viel intensiver? Die erste Radtour ist eben doch was anderes als die zehnte….und das 50. Land…..
Klar war frueher mehr Lametta – jede Party war auch mehr Lametta als heute….die erste Liebe, das erste Auto….
Und trotz allem finde ich es weiterhin genial hier draussen…..denn ich erlebe alles aus einem anderen Blickwinkel heraus. MIt mehr Gelassenheit, mehr Wissen, mehr Zeit….ich geniesse anstelle durchzurennen und zu denken, ich koennte etwas verpassen, wenn ich nicht an jeder Ecke des Landes gewesen bin…..
Das Leben veraendert sich – der Mensch veraendert sich….ob mit oder ohne WIFI – auch wenn die Reisen heute dadurch leichter geworden sind, irgendwo weniger spannend, aber wir sind ja selber Schuld wenn wir auf die Informationen zurueck greifen…..
Ich bin aber auch froh, dass ich durch das Internet Zugriff auf Freunde und Familie habe, auf Menschen die ich unterwegs getroffen habe und sie nicht fuer immer verloren gehen….
Aber klar auch ich erinnere mich an die Zeiten der GPO – wo man den naechsten Briefen von Freunden entgegenfieberte und sogar riesige Umwege dafuer in Kauf genommen hat – in ein Cafe gegangen ist und jeden Brief wie einen Liebesbrief geoeffnet hat, weil man den neuesten Nachrichten von zu Hause entgegen fieberte….
Es hat alles seine Vor- und Nachteile….,ich moechte das Internet nicht mehr missen wollen, es hat die Welt stark veraendert, verkleinert, aber es hat auch irre viele Vorzuege…..in diesem Sinne, LG aus der Welt, Heike
vielen Dank, Heike, für Deinen Kommentar, das ist ja schon fast ein extra Beitrag. Du bist aber gerne eingeladen auch noch etwa extra schreiben.
Ich wünsche Dir viel Spaß beim Radeln,
Liebe Grüße nach Japan,
Dorothee
Hallo Heike,
ja, vermutlich habe ich mich auch geändert. Aber im Beitrag betrachtete ich lediglich die Auswirkungen der Technik auf meine Art zu reisen. Meine persönliche Veränderung und Entwicklung und deren Einfluss auf die Art, wie ich Reise, wären ein anderes Thema 😉
Viele Grüße,
martin