Der Norden Deutschlands
Von Fehmarn nach Hamburg
Einer der schwersten Abschnitte jeder Reise stand mir wieder bevor: das Heimkommen. Wobei “Heimkommen” bei mir nicht der richtige Ausdruck ist, denn seit 10 Jahren habe ich kein “Zuhause” mehr. Für mich bedeutet es: zurück nach Deutschland und die Gastfreundschaft meiner Schwester anzunehmen. Wie ist es mir nun in meinen letzten Tagen in Freiheit ergangen?
Früh am Morgen stand ich im Hafen von Rødbyhavn. Obwohl ich gerade eine Fähre verpasst hatte, stand schon wieder eine Autoschlange da. Alle halbe Stunde geht eine Fähre nach Deutschland auf die Insel Fehmarn. Die Ferien gingen zu Ende, viele wollten zurück. Um diese Uhrzeit war ich die einzige mit Fahrrad.
45 Minuten später war ich wieder auf deutschem Boden. Als ob der Himmel mein Gemüt widerspiegeln wollte, war er schicksalsträchtig mit schwarzen Wolken verhangen.
In Puttgarden wollte ich zuerst auf den Bahnhof. Ich wollte mir ein Zugticket für den IC mit Fahrradreservierung von Hamburg in den Schwarzwald besorgen. Online war das so gut wie unmöglich. Leider war auch in Puttgarden nicht mehr viel vom Bahnhof übrig. Es gab nur Automaten. Die halfen mir auch nicht weiter. Unverrichteter Dinge fuhr ich los.
Obwohl Fehmarn sehr klein ist, hat es immerhin 300 Kilometer Fahrradwege. Die gab es vor 15 Jahren noch nicht, als ich das erste Mal auf der Insel war. Mittlerweile war es ein sonniger Vormittag. Die attraktivsten Radwege entlang der Küste waren stark bevölkert. Mit all meinem Gepäck erregte ich trotzdem Aufsehen.
Heute fuhr ich geradewegs durch auf die andere Seite und über die Fehmarnbrücke auf das Festland. Zum Glück hielt sich der Wind bei der Überfahrt in Grenzen.
Dann aber nichts wie in einen Supermarkt. Ich wollte mir all das kaufen, was ich nun lange entbehren musste.
Zu dem Radler kam noch eine Tafel Jogurt-Schokolade und Studentenfutter.
Eigentlich wäre eine so große Kalorienzufuhr gar nicht nötig gewesen, denn ich hatte nur noch 20 Kilometer bis nach Oldenburg/Holstein, wo ich Freunde besuchte.
Auch in Oldenburg/Holstein gab es einen Bahnhof, aber keine Schalter. Dafür ein TUI-Reisebüro, wo ich schließlich eine Fahrkarte mit Reservierung für mein Fahrrad bekam. Für die nächsten Tage war allerdings alles ausgebucht. Erst in einer Woche bekam ich noch einen Platz für mein Fahrrad. Dass meine “Heimkehr” sich dadurch weiter verzögerte stimmte mich nicht gerade traurig.
Wieder aufgepäppelt von meinen Freunden machte ich mich zur letzten Fahrradetappe auf.
Der Norden ist ganz anders, als der Süden Deutschlands.
Zuerst fuhr ich durch den Oldenburger Bruch. Ein wunderbarer Fahrradweg führt durch die Niedermoorlandschaft des Naturschutzgebietes.
Bei Dahme war ich wieder an der Ostsee. Auf einmal war wieder viel mehr los. Schönes Wetter und noch Urlaubszeit, das lockt einige heraus.
Gibt es eigentlich noch woanders Strandkörbe? Ich kenne sie nur von der Ostsee und Nordsee. An der Copacabana oder auf Phuket würden sie auch komisch aussehen.
Vor dem Timmendorfer Strand hatte ich genug von dem Strandtourismus und bog ins Landesinnere ab. Ein großer Vorteil um diese Jahreszeit, denn Obst und Beeren sind dann reif.
Die Straßen sind gesäumt von Brombeersträuchern. Die meisten Menschen rasen in ihren Autos nur vorbei. Deswegen standen mir die besten Beeren zur Verfügung.
Der Boden war voll von Mirabellen. Die Bauern scheinen mit dem vielen Obst einfach überfordert zu sein. Für mich war es Paradies.
Zum Übernachten suchte ich mir, wie ich es aus Dänemark gewohnt war, eine Schutzhütte. Leider war das, was ich hier vorfand, ein wahres Trauerspiel.
Schade, dass sich die Verantwortlichen in Deutschland nicht ein Bespiel an Dänemark nehmen. So kam mein Zelt wieder zum Einsatz. Im Wald fand ich ein schönes, ruhiges Plätzchen. Ich weiß, es ist nicht erlaubt. Aber wenn ich Natur und Tierwelt keinen Schaden zufüge, habe ich dabei keine Bedenken. Mich sieht man nicht und auch hinterher sieht man nicht, dass dort jemand gezeltet hat.
Früh am nächsten Morgen war ich in Lübeck.
Lübeck ist eine der Städte, wo ich noch nie war und die mich sehr interessierten. Deswegen hatte ich gleich ein paar Stunden eingeplant.
Was es da alles zu entdecken gab!
Obwohl es eine große Stadt ist, gibt es immer wieder mittendrin diese schönen, ruhigen Hinterhöfe. Natürlich kann ich mir auch vorstellen, dass die Anwohner etwas genervt sind, wenn die Touristen durch die Vorgärten trampeln. 😉
Es gibt hier sowohl ein Willy Brandt als auch ein Günther Grass Haus.
Auf kleinen Wegen ging es nach Ratzeburg. Die Städte liegen hier so dicht beieinander, dass ich schon am Nachmittag auf dem Rathausplatz der Stadt saß. Die Altstadt liegt idyllisch auf einer Insel im Ratzeburger See. Dort saß ich nun und überlegte, wie ich weiterfahren sollte. Ich hatte ja noch so viel Zeit. Ich konnte mir die schönsten Plätze auf der Karte aussuchen und einfach losfahren. Und es war dann wirklich fantastisch.
Das Salemer Moor ist ein großer Wald mit vielen netten Seen. Das Ganze ist ein Naturschutzgebiet und wild zelten ist explizit verboten. In so einem Fall halte ich mich an das Verbot. Das war auch kein großes Problem, denn es gibt den Natur-Campingplatz am Salemer See. Direkt am Wasser konnte ich mein Zelt aufstellen. Es war zudem erstaunlich ruhig.
Den Gedanken, zwei Nächte hier zu bleiben habe ich schnell verworfen, als ich am Morgen etwas lauter Musik hörte: ”Oh Heimat Du bist so wunderschön, ich möchte dich wiedersehen.” Schnell weg. Außerdem war dann Wochenende und die Ruhe eh vorbei.
Langsam – ich hatte ja Zeit – zottelte ich nach Mölln. So kurz vor Ende der Reise hatte ich zu nichts mehr richtig Lust. Auf meinem GPS suchte ich mir einen Platz im Wald, wo nur ein Pfad hinführt, wo aber Radfahren erlaubt ist.
Ich landete in einer “Sackgasse” mitten im Wald an einem Weiher. Meine letzte Nacht alleine in der Natur. Ich saß nur da und genoss: die Ruhe, das Grün der Buchenblätter, das sich in der untergehenden Sonne immer wieder änderte. Wunderbar. Einfach nur sitzen, schauen, genießen.
Ein Naturfreund kam kurz vorbei, um nach den Wasservögeln zu schauen. Als er weg war, baute ich mein Zelt auf. Eigentlich schade, dass es hier nicht so schöne Schutzhütten wie in Dänemark gibt. Für Naturfreunde wäre es am Abend und am frühen Morgen am Interessantesten.
Sehr früh weckten mich die Schwäne, die in Scharen mit einem Gekreische über mich hinweg flogen. Mein letzter Tag auf dem Rad brach an. Hamburg war nur noch 40 Kilometer entfernt.
Es war Samstag. Schon in den Vorstädten bekam ich Atemschwierigkeiten. Wie können Leute so dicht gedrängt aneinander leben? Noch schlimmer war es in der Innenstadt. Es fand ein “Jedermanns-Fahrradrennen” statt. Nachdem ich etwa 5.000 Kilometer alleine Fahrrad gefahren war, musste ich nicht mehr 80 Kilometer in der Horde fahren.
Bevor ich zu meinen Freunden fuhr, machte ich einen Schlenker durch die Hafenstadt.
Die Speicherstadt ist immer wieder schön anzuschauen. Und dann noch das neue Wahrzeichen der Stadt.
Näher bin ich an die Elbphilharmonie nicht heran gekommen. Es war umlagert von tausenden von Menschen.
Ein Stückchen weiter dem Hafen entlang, ändert sich Hamburg wieder dramatisch. Hier ist St. Pauli. Zuerst fragte ich mich, wie es meine Freunde dort aushalten. Die Familie besteht doch auch eher aus Naturliebhabern. Bald sah ich die Vorzüge dieses Stadtteils: Man kennt sich! Der Kleine kann alleine auf die Straße und hinter der Kirche nFußball spielen. Und zu den Hinterhöfen ist es sehr ruhig.
Es hat schon was.
Noch ein Schwank am Rande: Auch ich kam in den Genuss, mal wieder Fußball zu spielen. Zwei gegen Zwei. Das Feld war zum Glück sehr klein. Es machte direkt Spaß. Aber es war mir schon fast peinlich, am nächsten Tag hatte ich Muskelkater!!! Es kamen eben wieder ganz andere Muskeln zum Einsatz.
Die Zugfahrt zurück in den Schwarzwald war fast wieder das Abenteuerlichste der ganzen Reise. In Hamburg hätte der Waggon mit dem Fahrradabteil ganz hinten sein sollen. War er aber nicht. Mindestens zehn Fahrradfahrer mit vollbepackten Fahrrädern drängten sich auf dem überfüllten Bahnsteig dem Zug entlang.
Der Wagen 16 befand sich dann irgendwo zwischen 14 und 12. Einsteigen ging aber nicht, es war kein Strom in dem Wagen und die Türen funktionierten nicht. Wir mussten die Fahrräder und das ganze Gepäck zwischen den anderen Passagieren, die noch ihre Plätze suchten, durch die engen Gänge zu dem Fahrradabteil hieven.
Da die Klimaanlage in dem Wagen nicht funktionierte, durften die Fahrräder dort bleiben, aber nicht die Menschen. Weiteres Chaos.
Bis alle eingestiegen waren hatte der Zug schon einiges an Verspätung. An jedem weiteren Halt kamen noch ein paar Minuten dazu. Meinen Anschlusszug in Karlsruhe habe ich nur erreicht, da ein anderer Passagier mir meine Taschen hinterher warf. Türe zu und Abfahrt.
Das war nun das Ende einer wunderbaren Radtour um die Ostsee. Ich kann es nur weiter empfehlen. Es ist auch für nicht so geübte Reiseradler sehr gut geeignet. Wenn man nicht zelten möchte, findet man ein Zimmer. Und es gibt fast überall Radwege.
Bitte melde Dich, falls Du detailliertere Informationen möchtest. Ich wünsche viel Spaß beim Radeln.
coucou Dorothée,
magnifique aventure, c’est les joies du 2 roues et aussi l’éloge de la lenteur.
Bisous
Merci beaucoup, Gilles. Ce voyage ne serait-il pas quelque chose pour vous?
Bonne journée Dorothee
Meine Geburtsstadt ist Reinbek. Drei Jahre haben wir auch in Lübeck gewohnt (und gearbeitet), sind dazu aber von Kirchzarten (!) umgezogen;-) Leider habe ich eine Ostseeumrundung* noch nie gemacht. Würde mich schon sehr locken. Deswegen habe ich deinen Bericht natürlich mit Interesse gelesen. Das unerfreuliche Gewusel auf dem Hbf. Hamburg kann ich mir lebhaft vorstellen. Daher ist es vorteilhafter, in Dammtor einzusteigen, weil der Bahnhof nicht so stark frequentiert ist.
*Ob man sich das noch im Alter von 70 noch zutrauen sollte, weiß ich nicht. Kann ja eher mal vorkommen, dass man ein gesundheitliches Problem bekommt. Mit Touren solcher Dimension sollte man wohl doch schon ein wenig früher anfangen…
Vielen Dank Hans-Hermann für Deinen Kommentar.
Ich glaube, die Ostseeumrundung ist auch für die ältere Fahrradfahrergeneration sehr gut geeignet. Es ist weitgehend flach und überall kann man sich gut in jeglicher Hinsicht versorgen lassen. Ich bekam Abszesse am Rücken, die ich nicht selbst versorgen konnte. In den immer wiederkehrenden Kliniken wurde ich in den Baltischen Staaten sehr gut und kostenlos versorgt. Bei Abszessen hat es noch den Vorteil, man braucht nicht einmal die Sprache sprechen, einfach zeigen, dann wissen sie schon was los ist 😉
Du kannst ja auch mal mit kleineren Abschnitten anfangen.
Viel Spaß,
liebe Grüße,
Dorothee