Äthiopien: das Land mit den zwei Gesichtern
Nun stand ich vor Äthiopien, dem Land, von dem ich von Radfahrern nichts Gutes gehört hatte. Außer über steinewerfende Kinder hatten sie kaum etwas zu berichten. Nach meinen Erfahrungen in Ruanda hatte ich darauf überhaupt keine Lust. Aber an Äthiopien führt momentan kein Weg vorbei. Wie ist es mir nun ergangen?
Es war Sonntag um die Mittagszeit, als ich die Grenze überquerte. Erstaunlich wie unterschiedlich auf einmal die Gesichter waren. Sie sahen eher Arabisch als Afrikanisch aus. Ältere Männer haben weiße Haare und rotorange gefärbte Bärte. Die Frauen sind sehr hübsch und haben lange Haare. Sie sind alle wesentlich kleiner als die hochgewachsenen Nomaden im Norden Kenias.
Endlich an der Immigration angekommen, war Stromausfall. Ohne Strom konnten sie meinen Reisepass nicht mit dem Computer einlesen. Also musste ich warten, Tagebuch schreiben. Nach mehr als einer Stunde hatten die Beamten genug. Sie gaben mir den Einreisestempel, ohne den Reisepass eingelesen zu haben.
Mittlerweile war es zu spät, um weiter zu fahren. Der nächste Ort mit Unterkunft war hundert Kilometer entfernt. Da ich von Äthiopien fast nur schlimmes gehört hatte, wollte ich nicht unterwegs wild zelten.
Das Polizei- und Militäraufgebot in der Grenzstadt Moyales war enorm. Leider fand ich nicht heraus, warum. Ob das immer so ist? Ein Soldat warf Steine auf einen Mopedfahrer. Vielleicht ist ja das Steinewerfen eine Art der Kommunikation? Der Ranghöhere bewirft Steine auf den nächsten: Soldat auf Männer, Männer auf Kinder, Kinder auf Tiere – oder Radfahrer.
Schließlich fand ich ein Hotel, in dem es WiFi geben sollte. Das gab es auch – funktionierte aber nicht. Das sollte noch häufiger der Fall sein.
Gut ausgeruht konnte ich am nächsten Tag Äthiopien angehen.
Die Überraschung war groß. Es war ein wunderbarer Tag. Ruhig und friedlich ging es durch das wenig bevölkerte Buschland.
Gegen Ende des Tages kamen sowohl Berge als auch Wolken.
Heute hatte ich nicht viel Glück.
Nach Mega musste ich noch 300 Höhenmeter überwinden und das im stärkstem Regen. Es goss wie aus Kübeln. Das Wasser kam mir nur so entgegen geschossen. Ruckzuck war ich patschnass. Es gab keinen Platz, wo ich mich hätte unterstellen können.
Auch am Anfang des Ortes nicht. Alles war eingezäunt. Dann endlich, ein offenes Tor! Dahinter befand sich eine Pension. Sofort wurde mir ein Zimmer aufgeschlossen und ich mitsamt dem Fahrrad hinein (die Zimmertür ging, wie so oft hier, nach außen). Innerhalb weniger Minuten stand ich unter der heißen Dusche. Welch eine Wohltat!
Auch hier sollte es WiFi geben, funktionierte aber nicht. (Diesen Satz werde ich noch häufiger wiederholen).
Am nächsten Tag ging es zuerst weiter den Berg hoch, aber dann kam eine fantastische Abfahrt.
Die Landschaft in Äthiopien ist einfach wunderbar, sehr vielseitig. Das Wetter, abgesehen, von dem Regen am Abend, und die guten, leeren Straßen sind für Radtouren sehr geeignet. Auch heute blieb ich von der Kinderschar verschont.
Womit ich eher meine Probleme habe, sind die vielen Leute, die in Ortschaften ständig um mich herum sind.
Das „You you you“-Geschrei klang wie ein Kriegsruf, mit dem sie auf mich zugerannt kamen.
Die jugendlichen Mopedfahrer waren auch außerhalb der Ortschaften um mich herum. Wenn sie zu lästig wurden, winkte ich einfach einem Autofahrer zu und zeigte auf die Jungs. Unglaublich, wie schnell sie dann weg waren.
Erst am dritten Tag um die Mittagszeit hatte ich die erste unangenehme Begegnung mit den Kindern. Gerade da, wo es richtig steil bergauf ging. Da hatten sie ein leichtes Spiel, mir steinewerfend und rufend hinterher zu rennen.
Wieder hielt ich einige Autos an, auch Polizeiautos. Nicht primär, um mir zu helfen, vielmehr um sie über den Zustand im Lande aufmerksam zu machen.
Das erste Auto war von USAid. Gerade sie sollten wissen, was in Äthiopien los ist. In ihren großen, weißen Jeeps bekommen sie davon nichts mit.
Ein ganzer Konvoi vom „World Food Project“,kam vorbei. Warum? Hier könnte man so viel anbauen. Vielleicht geht er auch in ein Flüchtlingslager.
Es gibt wenigstens entlang der Straße auch Strom und Wasser. Aber nicht alle können darauf zugreifen.
Vor Hagere Mariyam wurde die Bevölkerungsdichte und somit der Verkehr, größer. Der Verkehr bestand hauptsächlich von jungen Männern, die nichts Besseres zu hatten, als neben mir her zu fahren „you, you, you, where are you go?“
Es gibt Fragen, die beantworte ich nicht mehr. Wenn man sie über einen längeren Zeitraum hundert mal am Tag gefragt wird, hat man genug. Meist waren sie eh nicht an einer Antwort interessiert, sondern es war die einzige Frage, die sie auf Englisch konnten.
Ganz schlimm war es, wenn sie auch noch Musik dabei hatten.
Vor der Stadt fing es wieder an zu regnen. Die Straßen waren nicht mehr geteert, sondern nur sandig.
Die Stadt war wesentlich größer als vermutet. Zum Glück fand ich schnell ein günstiges Hotel.
Nach dem Regen leidet die Bevölkerung wenigstens nicht mehr an Wassermangel.
Ich fragte mich aber, was kann man mit dem dreckigen Wasser aus den Pfützen anfangen? Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie groß die Not sein muss, dass man darauf zurückgreift.
Ich war so froh, dass die Straßen gut geteert waren, somit war ich sogar in der Ebene schnell genug, um Ruhe vor den Kindern zu haben. Aber dann war damit auf einmal Schluss.
Es war ein einziger Matsch. Bäche flossen quer über das, was einmal eine Straße war. LKWs hielten an und wollten mich mitnehmen. Es sei viel zu gefährlich.
Zuvor ging es ständig den Berg hoch. Inzwischen war ich auf 2.550 Höhenmeter und ich wusste, der nächste Ort ist auf 1.500 Metern Höhe. Die Abfahrt wollte ich mir nicht nehmen lassen.
Ich fragte, wie weit es denn noch so schlimm sei? Die Antwort gefiel mir gar nicht: Bis Dilla, das waren noch 50 Kilometer!
Als es kurz besser wurde, hatte ich wieder mein Vergnügen mit den Mopedfahrern
Fotografiert zu werden, mochten sie gar nicht, war aber manchmal das einzige Mittel, um sie los zu werden, wenn nicht gerade ein Auto kam,
Dilla war meine erste größere Stadt. Hier wurden mir das erste Mal seit langem die unterschiedlichen Aufgaben von Mann und Frau vorgeführt. Frauen schleppten die vollen Taschen vom Markt nach Hause, wie auch das Feuerholz. Ansonsten waren sie nicht zu sehen. Die Männer bevölkerten die Bars und Cafés.
In Äthiopen gibt es gerade mal einen Internet- und Mobile-Anbieter: Ethio Telecom. Natürlich staatlich. Wenn es keine Konkurrenz gibt, braucht man auch keine Werbung machen. Es ist auch egal, ob es funktioniert oder nicht, die Leute haben ja keine andere Wahl.
In Dilla bekam ich endlich eine SIM-Karte, die ich natürlich auch registrieren lassen musste. Das funktioniert nie mit meinen Personalausweis, nur mit Reisepass. Sie meinten aber es dauert 24 Stunden, bis die Registrierung durch ist. Gut für sie, da war ich dann schon lange wieder weiter.
Mein Hotel hatte auch Internet. Das funtionierte sogar, wenigstens sporadisch. Um meine Mails abzurufen und manche zu verschicken reichte es gerade.
Der nächste Tag fing nicht gut an und wurde dann nur noch schlimmer. Zuerst ging es nur Berg hoch, landschaftlich war es sehr schön.
Nur war ich wieder in Begleitung von Kindern und Mopedfahrern. Auch bei Kindern hat das Zücken der Kamera einen positiven Effekt.
Im Allgemeinen versuchte ich sie komplett zu ignorieren. Ich schaute sie nicht einmal an. Wie mit Scheuklappen fuhr ich an ihnen vorbei. Jegliche Reaktion meinerseits war nur eine Motivation für sie weiter zu machen.
Eigentlich sollte die Straße nach Dilla wieder besser werden. Wurde sie auch, war aber noch bei Weitem davon entfernt, gut zu sein. Am Anfang war sogar noch Teer, dann überwiegend Schotterpiste, nur noch ab und zu Matsch.
Die Kinder boten mir heute ihr volles Programm. „You, you, you“ war noch das harmloseste. Über das „Fuck you, fuck you..“, das ab und zu in „Fuck me“ umgewandelt wurde, konnte ich nur lachen. Diese kleinen Kerle, wer weiß, wo sie das aufgeschnappt hatten.
Steinewerfen war schon heftiger. Einer traf mich sogar am Unterschenkel. Und Spucken stand heute auch auf der Liste.
Mir war alles egal, ich wollte nur noch durch und nach Hawassa. Wegen den schlechten Straßen hat es länger gedauert als gedacht. Ich war fix und fertig.
Vor der Stadt war eine Wasserverteilstelle. Und wieder einmal fragte ich mich, was würde Afrika ohne die gelben Kanister machen.
In Hawassa gönnte ich mir ein etwas besseres Hotel. Aber auch hier funktionierte das Internet nicht. Das war mir auch egal. Ich war so müde und wollte nur noch schlafen. Aber dann traf ich das erste Mal „Weiße“, zwei Geologen aus Prag, die hier für ein Äthiopisches Projekt, den Boden für den Straßenbau untersuchten. Auch ein äthiopischer Geologe war dabei. Endlich jemand, dem ich all meine Fragen stellen konnte.
Mit seiner langjährigen Ausbildung verdient er im Staatsdienst gerade mal 2.000 Birr, das sind ungefähr 61 Euro. Davon kann man keine Familie ernähren.
Warum USAid hier Essen verteilt, versteht er auch nicht. Hier in dieser Gegend wächst genug. Auch sonst ist die Infrastruktur für eine gute Krankenversorgung und Schulsystem da, nur funktioniert überhaupt nichts. Wenn man das Gehalt von staatlich Angestellten anschaut, wundert mich das nicht.
So wurde es doch etwas später.
Am nächsten Tag vergaß ich meinen Stock im Hotelzimmer. Das war nicht weiter schlimm, ich wollte eh nach etwas Besserem schauen. Aber wo?
Kein Problem! Kurz darauf warf ein Hirtenjunge seinen Stock auf mich, der direkt neben mir landete. Schnell hielt ich an und hob ihn auf, bedankte mich und fuhr davon. Das bewirkte zwar ein paar Steine in meine Richtung, aber keiner traf mich. Ich freute mich riesig über meinen fantastischen Stock.
Das war für heute der einzige Zwischenfall.
Seit Hawassa war ich wieder im Rift-Valley. Eben ging es an verschiedenen Seen vorbei.
Es war Sonntag. In Shashemene liefen alle mit ihren weißen Umhänge der äthiopisch orthodoxen Kirche herum. Von dem Rastafari-Dorf hier wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nichts. Ich sah auch nichts. Es zog anscheinend weit weniger Rastafaris an, als ursprünglich erwartet.
Vor Zuway kamen wieder Gewächshäuser. Von der Straße konnte ich nicht sehen, was darin wächst. Darum fuhr ich näher heran. Sofort war ich umzingelt mit teilweise schwer bewaffneten Wachmännern. Ich wollte doch nur wissen, was in den Gewächshäusern wächst! Sie taten so, als ob sie kein Englisch verstehen würden. Dann fragte mich aber einer in gutem Englisch, was ich in meinen Taschen hätte. Wenn ich nicht wissen darf, was in den Gewächshäusern wächst, braucht er auch nicht zu wissen was in meinen Taschen ist. Ich fuhr weiter.
Nach ein paar Kilometern sah ich Anzeigen von Blumen und Rosen. Nahrungsmittel brauchen sie ja nicht anzubauen. Die bekommen sie ja vom World-Food-Project und USAid.
Später erfuhr ich, dass das Gelände für die Gewächshäuser von den Einheimischen weggenommen wurde, um sie den europäischen Blumenzüchte zur Verfügung zu stellen. Deswegen waren sie vor nicht allzu langer Zeit, Ziel von Anschlägen. Darum werden sie nun so stark bewacht.
Von den meisten Seen in der Gegend sah ich kaum etwas. In Zuway hatte ich etwas Zeit mich genauer umzuschauen.
Von der vielfältigen Vogelwelt hatte ich schon einige Exemplare gesichtet.
An dem See selbst dachte ich, dass ich nicht viel verpasst hatte, dass ich die anderen nicht gesehen habe. Das Wasser animierte mich nicht zum Schwimmen.
Ein junger Mann, der hier für Touristen Bootstouren macht, verdient 2.000 Birr, genau so viel wie der Geologe und Lehrer.
Am See steht eine der bunten und reich geschmückten äthiopisch orthodoxe Kirche.
Im Dorf eine der Moschee
Ebenso einen Markt. Es gab hauptsächlich Kartoffeln, Zwiebeln und Tomaten. Als Obst nur Bananen. Alles war auf dem Boden verteilt. Darum herum lag Abfall, dazwischen liefen Kühe. Alles nicht so ganz appetitlich.
Auch nach Zuway gab es Gewächshäuser. Hier war es besser zu erkennen, was darin ist und wer dahinter steckt.
Über Mojo ging es nach Addis Abeba.
Seit Marsabit in Kenia hatte ich keinen Ruhetag mehr. Das bekam ich sehr zu spüren.
Dafür hatte ich in Addis umso mehr „Ruhetage“. Ich musste mir die Visa für die letzten afrikanischen Länder, Sudan und Ägypten, besorgen. Das nahm mehr Zeit in Anspruch, als ich erwartet hätte.
Je länger ich dort war, desto mehr gefiel es mir.
Auch das Fahrradfahren ging erstaunlich gut, obwohl diese Fahrradwege vielleicht gerade mal 100 Meter lang waren.
In Addis Abeba sollte es ein Bob Marley Denkmal geben. Also packte ich mein Fahrrad und fuhr sonntags in die Gegend, wo es stehen sollte.
Das einzige, was ich vorfand, war eine große Ampelanlage. Ich hätte eigentlich einen Kreisverkehr und in der Mitte Bob Marley erwartet.
In einem Hotel neben der Kreuzung fragte ich nach und bekam zur Antwort zuerst einmal ein Lachen. „Ja, da war das Denkmal. Es kamen aber jeden Tag so viele Leute und haben den ganzen Verkehr blockiert, dass Bob Marley wieder abtransportiert wurde.“
Die nette Dame wusste nicht, wo er jetzt steht. Also kein Denkmal, dafür eine schöne Fahrt durch die Stadt.
Auf dem Rückweg schaute ich mir die Dreieinigkeitskathedrale an.
In der Kathedrale ist die Gruft des Heile Selassis.
Es ist eine der wichtigsten äthiopisch orthodoxen Kirchen. Sie ist außerdem Sitz des Erzbischofs.
Inzwischen waren meine Freunde „Les Doudz“ angekommen. Sie waren auch Richtung Norden unterwegs. Gemeinsam teilten wir Freud und Leid der Visa-Beschaffung.
Dazwischen hatten wir Zeit für andere Exkursionen. Ein Besuch von Lucy stand an, dem einstmals ältestem Skelett, 3,2 Millionen Jahre alt.
Deshalb gilt Äthiopien als die Wiege der Menscheit.
Vom „Homo erectus“ zum „homo sedens“.
So ein Tag im Museum kann ganz schön anstrengend sein.
Zweimal bin ich in Addis Abeba umgezogen. Meine letzte Bleibe war die Allerbeste: hoch über der Stadt auf dem Dach des Taitu Hotels
Da blieb ich noch fünf Tage. Von dort aus bin ich von einer Botschaft in die andere gedüst.
Bis wir es geschafft hatten.
Mit zwei neuen Visa im Pass konnten wir endlich die Stadt verlassen.
Und wieder hieß es Abschied nehmen. Aber uns war klar, wir werden uns wieder treffen.
Das nächste Mal erfahrt Ihr hier, wie es mir weiter im Norden von Äthiopien erging.