Madagaskar 2006

Madagaskar 26.September bis 2.November 2006

Antananarivo (Tana), Dienstagmorgen, 26. September 2006

Passagierin Dorothee Fleck, bitte am Schalter 21 melden!“ So hat alles angefangen, nachdem mich Regine und Andreas sicher zum Flughafen gebracht haben. Schnell habe ich mich verabschiedet und mich gehorsam gemeldet. Das erste Mal auf all meinen Touren haben sie meine Gaskartuschen entdeckt, die ich in den Satteltaschen sicher verstaut hatte. Nun musste ich sie natürlich da lassen. Das kann ja heiter werden, bis ich die auf Madagaskar wieder finde. Das Fahrrad aufzugeben war kein Problem, wenn man von den 80 € absieht.

Endlich bin ich hier, ein Traum seit 20 Jahren. Na ja, eigentlich ist die Vorgeschichte ein bisschen länger, aber im zarten und unerfahrenen Alter von ungefähr 24 Jahren habe ich mir vorgenommen, nur einen Mann zu heiraten, der gewillt ist, die Hochzeitsreise mit mir auf dem Fahrrad in Madagaskar zu machen. Da mir der Traummann erspart geblieben ist, habe ich jetzt die Freude, meine Traumreise alleine machen zu dürfen.

Nach den ganzen Querelen bei der Arbeit ist es nun ein unbeschreibliches Gefühl, endlich im Hotel Sakamanga zu sitzen, draußen scheint die Sonne und vor mir liegen sechs Wochen Freiheit und Abenteuer – natürlich mit dem Fahrrad.

Der Flug war zwar lang, mehr als zehn Stunden von Paris, aber ansonsten recht angenehm. Was am Schluss noch unangenehm war, war das lange Warten bei der Einreise und gleich danach auf der Bank beim Geld wechseln. Da ich jetzt in dem Alter bin, in dem man sich ab und zu etwas Luxus leistet, habe ich das erste Mal einen Flughafentransfer ins Hotel mitgebucht. Zu meiner Entschuldigung ist noch zu sagen: Meine Ankunftszeit war kurz vor 22 Uhr, d. h. kurz vor Mitternacht, als ich den Flughafen verließ. Viele madagassische Helfer standen parat, um mein Gepäck samt Fahrrad in Empfang zu nehmen und ins Taxi zu laden. Natürlich gegen etwas Trinkgeld. Seit meinem Bankbesuch hatte ich ja eine Plastiktüte voll Geld. Diese Menge passt in keinen Geldbeutel. 1 Euro sind 2500 Ariarys.

Tana 20 km Dienstagabend

Also, eins steht fest: Das hier wird ein wunderbares Abenteuer! Eigentlich hat es ja schon angefangen, ich freue mich total, mein Fahrrad steht auch schon bereit.

Heute nach dem Frühstück machte ich mich zuerst mal zu Fuß auf. Es war recht früh, aber das ganze Elend der Stadt kam mir schon entgegen. Der Typ, der mich gestern vom Flughafen abgeholt hat, meinte, die Stadt habe mittlerweile 3,2 Mio. Einwohner. Jetzt glaube ich es ihm. Auch die zigtausend obdachlosen Kinder, über die ich schon gelesen habe, sind nicht zu verleugnen. Das ist wirklich erschreckend und überall stinkt es nach Urin. Immer wuseln irgendwelche Kinder zwischen den Beinen. Meistens wollen sie, wie die Mütter mit ihren Kindern auf dem Rücken, Geld. Das hilft ihnen ja auch nicht auf Dauer weiter. Ich möchte auch keine Vanille, Wörterbücher oder Stickereien kaufen, oder wenigstens noch nicht. Mit am unangenehmsten daran war, ich wusste nicht, wie ich mich eigentlich verhalten sollte.

Mit dem Hotelangestellten hatte ich weniger Probleme, den habe ich schwer beschäftigt. Zuerst hat er mir geholfen, die Fahrradbox in die Garage zu tragen, wo ich es ohne Probleme zusammenschrauben konnte, natürlich unter Beobachtung wundernder Blicke. Dann hat er die Bikebox, ohne dass ich danach gefragt habe, zurück in den Lagerraum getragen. Ein Problem weniger für mich, ich kann die Box auch für den Rückflug benutzen. Da ich immer wieder mein Fahrrad benutzen wollte, durfte er es immer wieder einschließen. Kurz gesagt, er hat sich sein Trinkgeld redlich verdient.

Meine Einkäufe konnte ich auch alle recht schnell erledigen: Landkarten, Gaskartuschen und den Hauptbestandteil meiner Fahrradreise-Nahrung: zum Frühstück Erdnussbutter mit Honig und am Abend Instant-Nudeln.

Wegen dem Campinggas bin ich durch die ganze Peripherie von Tana gefahren, war sehr schön und hat mir einen schönen Blick auf die Stadt beschert.

Aber wegen des Kaufs wäre es nicht nötig gewesen, schlussendlich fand ich es in einem Supermarkt am Rande der Innenstadt. Aber so bekam ich einen Einblick, was mich eventuell die nächsten Wochen erwartet: Straßen, die eingesäumt waren mit Wellblech- oder Sperrholzhütten. Da verirrt sich wohl selten ein Tourist hin und schon gar nicht auf dem Fahrrad. Hier ist noch zu erwähnen, ich bin grundsätzlich mit Helm gefahren, was natürlich hier außergewöhnlich ist. Aber so habe ich einigen ein Lachen beschert und ich lachte halt mit. Außerdem habe ich bemerkt, dass es immer wieder Fahrradhändler entlang der Straße gibt.

Zuerst wollte ich ja gar nicht mit dem Fahrrad einkaufen gehen. Als ich es nach dem Zusammenbau ausprobieren wollte, war der Verkehr auf der Kopfsteinpflasterstraße so stark, dass ich mich kaum auf die Straße getraut habe. Morgen möchte ich ja auf jeden Fall los und dann noch mit Gepäck – das wird sicher auch nicht einfacher. Also habe ich mich doch ohne Gepäck aufgemacht und es hat richtig Spaß gemacht. Wow, freue ich mich auf morgen, wenn es richtig losgehen kann!

Ampefy 126 km Mittwoch, 27.09.06

Was für ein genialer Tag. Hier sitze ich nun, gleich neben dem Schweinekoben von dem Kral, der mich netterweise auf der Wiese gleich am See campen lässt. Ist das ein genialer Sonnenuntergang!

Jetzt der Reihe nach! Ja, ich bin aufgestanden, das sogar schon recht früh. Hier ist schon um 5 Uhr hell. Aber ohne Frühstück geht natürlich nichts. Vorher noch packen. Meine Güte, ob ich das alles unterbringe? Aber schlussendlich ging es, aber ganz schön schwer das Ganze. Die erste Steigung kam ja ganz am Anfang. So frisch gestärkt war das kein Problem. Dann ging es 6 km durch das Elend.

Kaum zu glauben, aber da ist tatsächlich ein Fahrradweg, wahrscheinlich der einzige auf ganz Madagaskar. Nur konnte man auf dem nicht fahren. Man muss bedenken, die meisten gehen zu Fuß. Wenn sie Glück haben, müssen sie nur was auf dem Kopf tragen, ansonsten ziehen oder schieben sie irgendwelche Wagen und das natürlich auf dem Fahrradweg. Als das überwunden war, kam ein Dorf nach dem anderen, dazwischen Reisterrassen, Ananasfelder oder Mangobäume. Recht fruchtbar das Ganze und hügelig. Erst nach ungefähr 40 km beruhigt es sich und ich merke, ich fahre durch Afrika: Überall Lehmhütten, unzählige schwarze Kinder, Frauen, die unmäßige Lasten auf den Köpfen tragen, Zebukarren anstatt Autos und alles wird von Hand gemacht. Am Anfang hat es mich verwundert, dass alles so sauber ist. Aber dann kamen doch ab und zu Müllhalden.

Es scheint gerade so, als ob sie das Ziegelbrennen für sich entdeckt hätten. Der Straßenrand ist gesäumt davon, was nicht gerade der Luftreinhaltung dienlich ist. Auf den Köpfen der Frauen werden die Backsteine teilweise recht lange Strecken getragen, wo sie dann zu zweistöckigen Häusern aufeinander gestapelt werden. Mörtel können sich anscheinend nur Reiche leisten. Ich bezweifle, ob das so eine gute Idee ist, so viel Holz zum Brennen zu verwenden. An manchen Orten werden Sonnenöfen zum Kochen verwendet, gerade damit man nicht das Holz zum Heizen braucht.

Mein Plan war, wenn alles gut geht, bis Ampefy am Lac Itasy zu kommen. Nach den Schauermärchen, die ich über die Straßenverhältnisse auf Madagaskar gelesen habe, zweifelte ich stark, ob ich über 100 km pro Tag fahren kann. Soweit war aber alles geteert und die Strecke kein Problem. Selbst mit ca. 45 kg unterm Hintern ließen sich die Hügel noch bewältigen. Es ist halt doch eine Hochebene und kein Hochgebirge. Tana liegt auf ca. 1300 m, Ampefy genauso. Lac Itasy ist touristisch wertvoll genug, um ein paar Unterkünfte bereitzustellen. Gleich in der ersten Nacht wild zu campen war mir doch noch nicht so geheuer. Trotzdem, auf Reisen gilt: „My tent is my castle“. So war ich ganz erfreut, als ich am Ende des Dorfes ein Schild mit einem Zelt gesehen habe. Also habe ich bei einem Hotel nachgefragt, wo man denn hier zelten kann. Sie verwies mich einfach an das Seeufer. Nun, wenn das so ist, fuhr ich halt den Feldweg lang bis zu einem Kral. Weiter ging es nicht, wenigstens nicht für meine europäische Beschränktheit. Später lernte ich, Madagassen sehen das nicht so eng, für sie gibt es noch Wege, wo wir schon aufgeben. Auf jeden Fall bin ich so zum ersten Mal in den Genuss der außerordentlichen Gastfreundschaft der Madagassen gekommen. Die Dorfälteste hat mir gleich den Platz am See angeboten und mich mit Wasser versorgt. Dafür gab es für die Kinder Luftballons, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte. Es ist kaum anzunehmen, dass sie so was öfters bekommen, so viel Aufsehen wie das erregt hat.

Jetzt ist es noch nicht einmal 19 Uhr und es ist schon stockfinster. Über mir breitet sich langsam ein Sternenmeer aus. Trotzdem verschwinde ich langsam ins Zelt, die Moskitos…

Andohariana 52 km Donnerstag, 28.09.06

Wenn das mal kein Abenteuer ist. Dieses Nest hier war wirklich meine letzte Rettung. Ich hätte nie gedacht, dass eine „Route Nationale“ dermaßen schlimm sein kann. Mit meinen letzten Kräften habe ich mein Fahrrad hierher hochgeschoben.

Schon vor Sonnenaufgang bin ich aufgestanden (ca. 4:30 Uhr), damit ich meine morgendliche Notdurft in Ruhe erledigen kann. So etwas wie Klohäuschen sind hier so rar wie Schneeschipper. Allerdings hat mein weißer Hintern sicher genauso geleuchtet wie der Vollmond. Bei meinem Erdnussbutter-Honig-Frühstück mit deutschem Instant-Kaffee wurde ich genau beobachtet, aber mit einem gewissen Sicherheitsabstand, oder vielleicht aus Respekt vor dem Gast, sind sie im Halbkreis, ca. 3 m entfernt, hinter mir gesessen.

Die ersten 20 km bis Soavindandriana waren zwar bergauf, aber noch geteert. Nach dem ausgiebigen Frühstück kein Problem. Was danach kam… Ich glaube kaum, dass ich diesen nicht existierenden Weg eingeschlagen hätte, wenn ich es vorher gewusst hätte. Aber zum Glück weiß man vorher nie, was kommt, darum erlebt man wahrscheinlich viel mehr. Auf meiner Reise-Know-how-Karte sah die Straße davor und danach genau gleich aus. Weit gefehlt! Ich konnte kaum glauben, als sie mir in Soavindandriana den Weg nach Faratsiho zeigten. Am Anfang dachte ich noch, dass der sandige Feldweg sicher gleich wieder auf die richtige Straße führt.

Dem war aber nicht so, im Gegenteil, es wurde nur noch schlimmer. Was mich wunderte, ist, dass sich niemand gewundert hat, dass ich da lang will, besonders mit dem ganzen Gepäck. Nur die Bemerkung, dass ich da mit dem Fahrrad schon durchkomme, ließen sie fallen. Was anderes als Fahrräder fuhr da nicht mehr, nicht mal die Ochsenkarren. Die „Straße“ ist wirklich eine Herausforderung. Tief ausgewaschene Furchen, teilweise der blanke Fels, was noch der angenehmere Teil war, aber auch Sand, Schotter und Matsch. Dazu kam noch, dass es hier recht bergig war. Für die nächsten 30 km habe ich sicherlich 6 Stunden gebraucht! Zweimal hat es mich geschmissen. Auf der Furche zu fahren, war waghalsig, da zu schmal und zu sandig. Ich bin ständig abgerutscht. In der Furche war es zu schmal und zu tief, da bin ich immer mit den Satteltaschen und Pedalen hängen geblieben. Ein Stück weit konnte ich einem anderen Radler folgen, der wusste, wie man sich am besten da durchschlängelt. Allerdings war er natürlich ohne Gepäck viel wendiger als ich. Mit einem leichten Mountainbike hätte die Strecke sicher Spaß gemacht. Ein Typ hat mir geholfen, mein Fahrrad ein wirklich nicht passierbares Stück hochzuschieben. Auf halber Strecke haben 2 Kinder gemeint, es gäbe auch eine Umleitung. Ich habe dann den Radler gebeten, mit mir zu fahren, bis ich wieder auf der „offiziellen Straße“ bin. Auch wenn die Strecke absolut nicht befahrbar und weit und breit kein Dorf in Sicht ist, ist man trotzdem selten wirklich alleine. Irgendwann, irgendwo taucht schon mal wieder jemand auf, zu Fuß oder mit Fahrrad. Deswegen hatte ich auch keine großen Bedenken, obwohl die Fahrerei nicht ungefährlich war. Das Geniale an der Strecke ist die Landschaft. Die Berge sind einfach grandios. In der Mitte ist ein Flusstal, an den Hügeln haben sie Reisterrassen angelegt. Die Leute hier sind noch nicht vom Tourismus verdorben, hoffentlich auch nicht nach mir. Ich hatte nicht den Eindruck, dass hier öfters „Vazahas“ (Fremde, Weiße) durchkommen.

Mir war recht schnell klar, dass ich es nicht bis Faratsiho schaffe. Es war schon recht spät, keine Aussicht auf Besserung der Wegverhältnisse, und wegen den unsanften Begegnungen mit dem Pedal sah meine rechte Wade aus wie durch den Fleischwolf gedreht. Zum Zelten war die Gegend äußerst ungeeignet. Auf der einen Seite der ‚Straße‘ ging es steil hoch, auf der anderen steil nach unten. Das eigentliche Problem war das Wasser, es wurde langsam knapp. Die Hitze und der Staub trugen auch nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei. Aber wenn ich eines auf meinen Touren gelernt habe, ist es, dass Verzweiflung überhaupt nichts bringt, nur unnötig Energie kostet. Wichtig ist, dass man nicht die Zuversicht verliert, dass man es schafft.

Wie erleichtert war ich da, als auf einmal ein Bauernhof auftauchte. Wenn er auch nicht gerade einladend aussah, so war er doch ein erstes Zeichen einer Zivilisation. Voller Optimismus fuhr ich weiter, um zu sehen, was sonst noch kommt. Und tatsächlich, nach der Kurve tauchte auf einmal ein Kirchturm auf. Mir war klar: bis in das Dorf und keinen Meter weiter. Wie üblich haben mich eine Horde von Schulkindern empfangen: „Salut Vazaha“ schallte es aus allen Ecken und Enden. So oft wird hier wohl kein Vazaha vorbeikommen, schon gar nicht mit Fahrrad und Helm. Später hat mir der Lehrer erzählt, dass letztes Jahr 2 Franzosen mit Fahrrad vorbeikamen. Also nicht sehr frequentiert diese Strecke. Trotzdem wunderte ich mich, dass es noch so Verrückte gibt. Dieser Lehrer hat mich auch davon überzeugt, dass es besser ist, in dem Dorf zu übernachten. Dafür brauchte er natürlich nicht lange. Nach einem Rundgang fand ich ein schönes Plätzchen bei dem Centre de Santé, im ‚Garten‘ vom Chef de Centre.

In den hintersten Winkeln gibt es keine Krankenhäuser, sondern diese Centres, die mit den Krankenhäusern in Verbindung stehen. Ich glaube auch nicht, dass die Chefs wirklich Doktoren sind. Was eigentlich auch nicht nötig ist, da es eh keine Kranken gibt. Ein paar Jahre zuvor hatten sie anscheinend ein paar Fälle von Pest.

Deswegen konnten sie mir auch ein Zimmer anbieten, aber ich bevorzugte mein Zelt. Da das ja ein Gesundheitszentrum ist, dachte ich, man legt hier ein bisschen mehr Wert auf Hygiene, und fragte nach einer Toilette. Aber leider wurde das Häuschen letztes Jahr vom Hurrikan hinweggefegt und wurde bisher nicht mehr aufgebaut. Also wieder raus in die freie Natur, zum Glück gibt es hier keine giftigen Schlangen.

Wasser gab es auch, aber nicht aus der Flasche, sondern aus dem Brunnen. Mit Micropur ist es auch für mich trinkbar. Der ‚Laden‘ machte erst später auf, wenn der Inhaber mit dem Ochsenkarren von Faratsiho hochkam. Alles, was es dann gab, war altes Baguette. Mit meiner Instant-Suppe war es OK. Ich wollte mich nicht von dem Chef und seiner Frau einladen lassen. Wie üblich hatten auch sie eine Horde von Kindern, und da sie ja nicht mit meinem Erscheinen gerechnet haben, wollte ich auch niemandem etwas wegessen.

Am Abend waren dann mal wieder die Luftballons, die ich mitbrachte, der Renner.

Sambaina 73 km Freitag, 29.09.06

Welch ein Gefühl, wieder festen Boden unter den Rädern zu haben. Das macht einen riesigen Unterschied. Leider sind auch die Leute wieder anders, aber hier hatte ich mal wieder Glück. Mein Zelt steht im Hof zwischen Kartoffeln, Holzkohle und Hühnern, zur Belustigung der alten Frau. Sie schaut immer wieder um die Ecke, lacht nur noch und schüttelt den Kopf. So etwas hat sie wohl noch nicht gesehen.

Heute Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück und Abschiedsfotos mit dem Chef und seiner Familie, ist auch wieder der Lehrer mit der ganzen Kinderschar aufgetaucht, um mir alles Gute zu wünschen – und was natürlich immer sehr wichtig ist: dass ich ihre Adresse mitnehme. Schließlich haben sie mir noch einen Guide besorgt, der mir helfen sollte, das Fahrrad auf den nächsten Gipfel zu schieben. Nach den gestrigen Strapazen fand ich das doch sehr nett; das konnte ich locker trotz meines sportlichen Ehrgeizes akzeptieren. Aber so schlimm wie gestern wurde es lange nicht, der Weg war viel besser. Am Anfang war es ein schöner Nadelwaldweg. Die ganze Gegend wurde wieder sanfter, nicht mehr so steil und felsig. Obwohl es ja wirklich nichts gibt – keine Straße, keine Orte, nichts –, waren recht viele Leute, meistens zu Fuß, unterwegs. Wenn ich nur wüsste, wo die alle hinwollen! Bis zum nächsten Dorf sind es ungefähr 30 km.

Dem Guide war ich doch sehr dankbar. Zweimal mussten wir Flüsse durchqueren. Dementsprechend sehen meine Schuhe aus. Auch mit ihm habe ich für die 25 km vier Stunden gebraucht. Er hat mich schlussendlich doch nicht nur auf den Gipfel, sondern bis Faratsiho begleitet. Ich könnte auch gar nicht sagen, welchen der Gipfel sie zuerst meinten; es kamen noch einige. Wie es immer so ist: Wenn es am anstrengendsten ist, ist es auch am schönsten. Es war einfach genial. All die Strapazen haben sich gelohnt. Nur befürchte ich jetzt, dass die geteerten Straßen zu langweilig werden. Ab Faratsiho fahren wieder Allrad-Fahrzeuge – ein Zeichen, dass es nicht mehr so problematisch sein kann.

Nachdem ich mich wieder gestärkt habe – richtiges Wasser aus der Flasche und gleich eine Cola hinterher –, bin ich weiter. Gemächlich fuhr ich so vor mich hin und habe erst nach einiger Zeit gemerkt, dass es ja ständig nur bergauf ging. Auf über 2000 m war ich mittlerweile. Wenn man so seinen Gedanken nachhängt und man was zu sehen hat, fährt man mechanisch vor sich hin. So kommt man ohne große Probleme die meisten Berge hoch, zwar nicht schnell, aber ohne Anstrengung. Hier konnte ich auch einem Hirtenjungen lauschen. Während sie ihre Zebus hüten, spielen sie Flöte. Leider habe ich es noch nicht von Nahem gesehen; die Melodie gefiel mir sehr gut und in den Bergen ist auch eine gute Akustik.

Ich war noch nicht weit von Faratsiho, da kamen mir zwei große Motorräder entgegen. Ein deutsches Pärchen, die ersten Weißen, die ich seit Tana gesehen habe. Die wollten tatsächlich die Strecke, die ich soeben überstanden hatte, in die andere Richtung fahren. Sie hatten die gleiche Landkarte. Wie üblich werden bei solchen Begegnungen Erfahrungen ausgetauscht, was zur Folge hatte, dass sie doch lieber wieder umgedreht sind und ich voller Zuversicht weiterfuhr. Anscheinend sind die weiteren Straßen, die ich fahren will, besser befahrbar.

Irgendwann war ich dann oben, dann ging es um eine Kurve und ich hatte die ganze Herrlichkeit vor mir: nur noch bergab in das weite Tal, bis Sambaina, wo der Weg auf die RN 7 trifft, die „Autobahn“ Madagaskars. Als ich Sambaina war, wusste ich: Mir reicht es für heute, ich will nicht mehr weiter. Leider sah der Ort nicht gerade einladend aus, war er dann auch nicht. Nur eine Frau in einem Hotely sah ganz nett aus. Die habe ich dann gefragt, ob sie keinen Platz für mein Zelt wüsste. Nach längerer Überlegung ihrerseits, weil der Hof ja so dreckig ist – ganz zu schweigen von mir –, steht mein Zelt jetzt doch zwischen Hühnern und Kartoffeln. Ein Hotely, das ist kein Hotel, sondern nur ein Ort, wo man immer Kaffee und andere Getränke bekommt, und meistens auch was zum Essen, aber normalerweise kein Zimmer. So kam ich auch noch zu meinem ersten echten madagassischen Abendessen: Reis mit Huhn. Sogar das Reiswasser, das sie auch noch trinken, wurde mir hingestellt, schmeckte mir aber nicht besonders.

Antsirabe 36 km Samstag, 30.09.06

Was für ein Leben. Während ich frühstückte, habe ich den Sohn des Hauses beobachtet. Ein äußerst hübsches Bürschchen, vielleicht fünfzehn, sechzehn Jahre alt, sieht auch gar nicht dumm aus. Seit einiger Zeit hängt er nur herum. Wahrscheinlich ist heute keine Schule, denn ich weiß, er ist eine der wenigen Ausnahmen, die dort auch tatsächlich hingehen.

Wie ich so dasaß und ihm beim Nichtstun zusah, wurde ich auf einmal sehr müde. Ich, das krasse Gegenteil: jede Minute auskosten, kein Stillstand. Vielleicht sollte ich von dieser Mentalität lernen. Soviel ich über die Madagassen gelesen habe, brauchen sie in diesem Leben nichts erreichen, denn das wahre Leben kommt erst danach. Ich glaube, es wird Zeit für mich, langsamer zu machen – man kann in einem Leben nicht alles erreichen.

Als ich mich aufs Fahrrad setzte, hatte ich meinen Durchhänger und war entsetzlich müde. Die 36 km nach Antsirabe habe ich kaum geschafft, obwohl es eine geteerte Straße war, keine wesentlichen Berge und auch kein Gegenwind mich geplagt hat. Der einzige Grund, den ich sah, war, dass ich in der Nacht nicht gut geschlafen habe. Es war ganz schön laut. Es waren zwar nicht viele Autos, aber wenn dann mal eins kam, steht man fast senkrecht im Schlafsack (wenn das Zelt höher wäre). Auch viele Hunde sind hier, die sind anscheinend nur nachtaktiv. Da müssen sie sich gegenseitig anbellen.

Alles in allem sagte mir mein Zustand: Jetzt wird es Zeit, sich ein bisschen zu verwöhnen. So gab ich mich mit den 36 km zufrieden, denn das hier ist eine größere Stadt mit richtigen Läden, wo man richtig etwas zum Essen kaufen kann, und guten Unterkunftsmöglichkeiten. Eigentlich wollte ich im Green Park zelten, aber da Verwöhnen angesagt war, habe ich doch einen Pavillon genommen, mit einer richtigen Toilette und einer richtigen Dusche, sogar mit warmem Wasser.

Nach den Tagen in der Wildnis war das jetzt auch angebracht. Die Kleidung und Schuhe wurden auch gleich gewaschen und das Fahrrad wieder gerichtet. Da es erst 10 Uhr war, als ich das Häuschen bezog, konnte ich es richtig ausnutzen.

Die Stadt selber gefällt mir nicht so. Auch hier gibt es viel Armut und Hunger, obwohl es reichlich zu essen gibt. Der Markt ist voll bis oben hin.

Heute kann ich es nicht ertragen, wie sie alle etwas von mir wollen, auch die Pousse-Pousse-Fahrer. Das ist ja noch schlimmer als Rikschas, wie sie barfüßig durch die Gegend rennen. Da ich ja sowieso nur ausruhen wollte, was man in dem Garten sehr gut kann, habe ich die Stadt weitestgehend gemieden.

Mandoto 106 km Sonntag, 01.10.06

Manche Dörfer gleichen Schulhöfen in der großen Pause, wenn ich angefahren komme. Es wimmelt nur so von Kindern. Sieht einer mich schon von Weitem und schreit „Vazaha“, geht das Gewusel los. Aus allen Ecken und Enden kommen sie gekrochen. Selbst wenn nur drei Hütten dastehen, sind sicher 15 Kinder da. Aber kaum eines traut sich in meine Nähe; je weniger Kinder, desto größer der Sicherheitsabstand. Ganz kleine Kinder laufen auch schreiend wieder davon.

Bei so viel Aufsehen, das ich erregte, dachte ich eigentlich, dass nicht so viele Vazahas hier durchkommen. Ich sehe auch keine. Wenn sie nicht mit dem Flugzeug von einer Attraktion zur anderen fliegen, brausen sie mit den Allrad-Autos durch die Dörfer, unsichtbar für die Einwohner. Hier in der Stadt bekommt man anscheinend öfter einen Reisenden zu Gesicht. Ganz gut so, denn dann habe ich meine Ruhe.

Als ich vorher nochmals ins Dorf ging, um mir ein „Radler“ zu holen – ja, das gibt es hier wirklich, heißt eigentlich wie in Frankreich „Panaché“, aber es gibt nur eine Marke: Fresh –, sah ich auch, warum. Hier halten die Taxi Brousse, Buschtaxis. Es handelt sich hierbei um irgendwelche japanische Autos, kleine Busse, innen vollgestopft mit Menschen, wahrscheinlich am Anfang noch lebend, und auf dem Dach stapelt sich allerhand Gepäck, z. B. ein ganzer Stapel von Fahrrädern. Hier in dem Nest dürfen sich die Insassen die Füße vertreten. So bekam ich heute den ersten Touristen zu Gesicht (abgesehen von dem im Spiegel heute Morgen – ja, ich hatte einen Spiegel). Ich bin ganz schön froh, was mir erspart bleibt. Dann doch lieber Fahrrad fahren.

Mein Zelt steht im „Garten“, einem Stein-Sand-Gemisch, von einem Hotel. Es stehen noch ein paar kleine Hütten herum, die man mieten kann, aber ich bezweifle, dass die mehr Komfort bieten. In meinem Zelt weiß ich wenigstens, dass ich keine „Mitbewohner“ habe, und ich sehe den gigantischen Sternenhimmel. In der vorigen Nacht waren anscheinend schon zwei Radler da, dann bin ich ja doch nicht die Einzige.

Ansonsten war es heute mal wieder eine geniale Radfahrstrecke, überhaupt die ersten und die letzten 30 km. Dazwischen war es recht hügelig und sehr warm. Ich merke jetzt auch, dass ich ganz schön an Höhe verloren habe, es ist recht spät und überhaupt nicht kühl – das erste Mal ohne Pullover.

Miandrivazo 120 km Montag, 02.10.06

Was für ein Stresstag, und dazu habe ich auch noch verschlafen. Aber wahrscheinlich war das ganz gut so. Ich brauchte den Schlaf. Gestern Abend bis in die Nacht war noch irgendeine Veranstaltung im Dorf. Wahrscheinlich, damit nicht jeder aus seiner Hütte auf den Marktplatz kommen muss, haben sie das Ganze mit dem Lautsprecher übertragen. War sicherlich sehr interessant; der Typ hatte wirklich viel zu sagen, nur verstand ich leider kein Wort und fragte mich, warum die so einen Krach machen mussten.

Wahrscheinlich habe ich es schon erwähnt: Mein Tagesrhythmus hat sich der Sonne angepasst. Normalerweise gehe ich um 19:00 Uhr ins Zelt, dann ist es auch schon dunkel, und um 20:00 Uhr schlafe ich eigentlich. Anscheinend war ich gestern die Einzige mit diesem hehren Wunsch. Diese Ansprache war sicher sehr wichtig, auf jeden Fall keine Gute-Nacht-Geschichte. Nicht mal Ohropax halfen. So war es ganz gut, dass ich heute Morgen den Schlaf nachgeholt habe. Anscheinend haben das die Hähne auch so gemacht, da die mich normalerweise spätestens um 5:00 Uhr wecken.

So wurde es doch recht knapp. 120 km sind zwar nicht viel, aber mit 45 km immer bergauf und bergab unter der afrikanischen Sonne, die sich heute besonders bemerkbar machte, nicht ohne.

Dies hier soll ja die heißeste Stadt der Insel sein, das hat sich schon recht lange vorher bemerkbar gemacht. War nicht sehr angenehm. Die Luft von meinem Hinterrad hatte auch keine Lust mehr und ist entwichen. Eigentlich verständlich, in dem schwarzen Reifen ist es sicher noch heißer. Nur musste ich viermal pumpen, was auch nicht sehr abkühlend war.

Aber wie jeden Tag kam auch heute der Moment, für den sich die ganzen Strapazen lohnen. Diesmal war er sogar recht lang. Zuerst einmal hatte ich, nachdem ich Kiranomena durch war, das ganze, weite Tal unter mir.

Bis Miandrivazo waren es 27 km steil bergab Gedüse.

Als ich in der Stadt ankam, wollte ich mir, wie immer, zuerst einmal etwas Kühles zum Trinken kaufen. Nur wollte der Schuh nicht mehr vom Pedal weg. Zur Belustigung aller musste ich halt aus dem Schuh. Eine Schraube hatte sich von dem Cleats gelöst. Deswegen blieb der Cleats trotz der Drehung des Schuhs noch fest im Pedal. Hauptsache was Kühles zu trinken, und alles andere ist egal. Da ich keine Lust mehr hatte, das Zelt aufzubauen, habe ich nach einem Hotel Ausschau gehalten.

Da dies fast ein Touristendorf ist, war das gar nicht so schwierig. Am Fuße des Hotelhügels standen auch schon zwei Burschen bereit, um mein Fahrrad hochzuschieben. „Was für nette Burschen“, dachte ich, „dass ich keine Guides brauche, sage ich dann, wenn mein Fahrrad oben ist.“ Eigentlich kommen Touristen nur hierher, um eine Boots- (Pirogen-) Tour auf dem Tsiribihina nach Belo zu starten. Das kommt für mich schon allein wegen der Tatsache nicht in Betracht, dass das Ganze drei Tage dauert. Nicht mal einen Tag würde ich es in so einem Boot aushalten. Aber das konnten die Burschen ja nicht wissen – noch nicht. Tatsächlich war das auch ihr Anliegen; allein wegen der Annahme, dass ich genauso funktioniere wie alle anderen Weißen, haben sie sich um mich gekümmert. Aber leider ziehe ich doch mein Fahrrad vor. Leicht ärgerlich zogen sie von dannnen.

So ein Zimmer ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Im Zelt wird man richtig zur Frischluftfanatikerin. Aber so ein abgeschlossener Raum ist ja nicht nur luftdicht, sondern auch blickdicht. Hier konnte ich wenigstens in Ruhe mein Fahrrad reparieren und meinen Schuh, der sich inzwischen vom Pedal gelöst hatte, wieder richten. Es fehlt aber jetzt eine Schraube, darum muss ich ungeklickt fahren. Dusche und Toilette befinden sich auf dem Gang. Zum Glück gibt es mehrere Duschen, da eine schon besetzt war – von einem Frosch. Nein, ich habe ihn nicht geküsst und nicht gegen die Wand geworfen. Ich wüsste eh nicht, wohin mit einem Prinzen.

Seit Sambaina sind die Straßen mehr oder weniger geteert. Aber heute habe ich mich gefragt, warum eigentlich. Es fährt kaum ein Auto und wenn, dann sind es die Buschtaxis oder Geländewagen mit Fahrer und Touristen. Der Hauptteil der Bevölkerung kann sich eh kein Auto leisten. Die Madagassen bevölkern die Straße zu Fuß oder mit Zebu-Cars (Ochsenkarren), wenige haben wenigstens Fahrräder. Dafür braucht man wirklich keine geteerten Straßen. Aber morgen geht es ja ungeteert weiter.

10 km vor Mailambandy 101 km Dienstag, 03.10.06

Ist das jetzt schön hier. Das Licht in der Abenddämmerung, so richtig afrikanisch, und ein schöner kühler Wind. Das Rauschen der Blätter ist das einzige Geräusch weit und breit. Nachdem ich die letzten zwei Nächte meine Ohren zustöpseln musste, habe ich beschlossen, diese Nacht fern von jeglichen Generatoren oder Getier zu verbringen. Mein Lagerplatz ist nicht weit von der Straße entfernt. Anscheinend sind nicht mal Hütten in der Nähe, da ich keine Fußgänger mehr gesehen habe. Nach dieser gnadenlosen Hitze kann ich die Abendstimmung und -kühle richtig genießen. Der Sonnenuntergang ist wie immer traumhaft.

Heute habe ich doch tatsächlich meinen ersten „Reiseradler“ getroffen. Ein Franzose, der schon einige Zeit auf Madagaskar lebt und schnell mal mit dem Mountainbike über die Insel düst. Als Gepäck hatte er nur einen kleinen Rucksack. Dafür hatte er einen Begleiter auf einem Motorroller. Ich nenne das ganz schön Beschummeln. Trotzdem war es nett, mal für ein paar Kilometer Begleitung zu haben. Natürlich war ich ihm viel zu langsam und er zog von dannnen. Dafür kann ich, wo immer es mir beliebt, mein Zelt aufschlagen.

Kurz danach haben sich zwei einheimische Jungs auf dem Fahrrad mir angenommen. Ohne irgendwelche Absprachen haben sie sich um mich gekümmert. Ich habe das so richtig genossen und war ihnen dafür auch dankbar. Wahrscheinlich hat das auch mit der außerordentlichen Gastfreundschaft zu tun. Diese Jungs kennen den Weg in- und auswendig. Wenn man denen direkt hinterherfährt, vermeidet man, auf einmal in einem Sandloch zu landen. Auf solche abrupten Stopps kann ich verzichten. Ohne dass wir uns unterhalten konnten – sie waren viel zu jung, um noch Französisch zu können –, war es selbstverständlich, dass man aufeinander wartet. Das ging so ein paar Stunden, ca. 70 km. Leider blieben sie in Ambatolahy. Obwohl sie nichts verlangten und ich eigentlich keine Geldgeschenke mache, habe ich ihnen etwas gegeben. Es hat mir nicht nur sehr geholfen, sondern auch richtig Spaß gemacht.

Ich habe in dem Dorf zuerst mal eine Pause gemacht. Es waren sicherlich 40 Grad. Danach konnte ich kaum weiterfahren. Wirklich australische Temperaturen, aber hier hat es wenigstens Schatten. Der erste, leckerste Joghurt „à la maison“ hat mir auch auf die Sprünge geholfen. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich gleich zwei verputzt.

Wegen der schlechten „Straßen-Zustände“ ging ich in der irrigen Annahme, hier kämen nachts keine Autos vorbei. Ich sollte aber eines Besseren belehrt werden. Warum sollte man auch nicht die Kühle der Nacht nutzen? Man kann ja nicht in den Graben fahren, da ist man eh schon – die ganze Straße besteht nur aus Gräben.

Obwohl einige Autos in der Nacht vorbeikamen und ich mir kaum vorstellen kann, dass sie mein Zelt so überhaupt nicht gesehen hatten, hatte trotzdem keiner Interesse an mir. Im Notfall hätte ich mein Pfefferspray gehabt. Wie viel das genützt hätte im Land, wo der Pfeffer wächst, weiß ich nicht, aber ich war viel zu müde, um darüber nachzudenken.

So ruhig ist es in der freien Natur nachts dann auch nicht. Auch wenn es keine Generatoren gibt, so gibt es doch nachtaktive Lebewesen, z. B. eines, das Geräusche macht, wie wenn man einen Tischtennisball auf die Platte fallen lässt. Da dies mich nicht aus dem Zelt gelockt hat, weiß ich bis heute nicht, ob es ein Vogel oder sonst so ein Getier war.

Ankilizato (77 km) Mittwoch, 04.10.06

Mein erster Sturz – und was für ein spektakulärer! Natürlich habe ich damit auch gewartet, bis ich genug Zuschauer hatte: Ein Buschtaxi mit Sicherheitsabstand war hinter mir.

Die Schrauben von meinem vorderen Gepäckträger hatten sich gelöst und alles hat sich schön mit den Speichen vereint, sodass das Vorderrad abrupt zum Stillstand kam und das Hinterrad schön vertikal überholen konnte. Ich war irgendwo dazwischen. Wundersamerweise ist eigentlich nicht viel passiert! Dank Helm und Handschuhen, die ich trotz Hitze immer trage. Aus Erfahrung weiß ich, dass meiner Aufmerksamkeit und meinen Fahrleistungen nicht immer zu trauen ist. Da lag ich nun und habe mich gewundert, wie schnell man absteigen kann. Sand auf der „Straße“ ist manchmal auch von Vorteil. Das Resultat der Geschichte: eine Beule und ein leichter Kratzer am Kinn und eine Schramme an der linken Hand, die auch angeschwollen war, sodass der Handschuh kaum mehr passte.

Das Ganze passierte auf dem letzten Stück der Schotterpiste, ungefähr 30 Minuten nach dem Aufbruch heute Morgen.

Nachdem ich 10 Minuten nach 5 Uhr die ersten Fußgänger vorbeimarschieren hörte (wieder mal kann man vergeblich die Frage stellen, woher sie kommen und wohin sie gehen – es ist beides Mal aus dem / ins Nichts), wusste ich, es wird Zeit zusammenzupacken. Einen Kaffee habe ich mir nicht mehr gekocht, zum Essen hatte ich ja auch nichts, dafür wusste ich, dass ein paar Essensstände nicht weit weg sind. Soweit kein Problem, auch die Sonne war nach einem fantastischen Sonnenaufgang wieder zugegen, hat mich aber noch vor der Hitze verschont. Nach einer halben Stunde habe ich die oben genannte Pause eingelegt.

Die Insassen des Taxi Brousse waren schockierter als ich – ich musste mich ja nicht durch die Luft fliegen sehen. Schnell stiegen sie aus und schauten, ob bei mir noch alles heil ist. Die haben sich auch gefragt, woher ich so früh am Morgen komme. Anscheinend dachten sie, ich sei die Nacht durchgefahren und totale Übermüdung der Grund des Sturzes wäre. Weit gefehlt. Ich meinte, das Einzige, was mir fehle, sei ein Kaffee. Das machte sie doch dann neugierig; sie wollten wissen, wo ich denn hier geschlafen hätte. Dass ich wild gezeltet habe und nicht nur den Sturz, sondern das auch noch überlebt hätte, konnten sie kaum glauben. Das ist anscheinend eines der gefährlichsten Gebiete Madagaskars. Taxis fahren anscheinend nur im Zweierpack auf dieser Strecke.

Über die „Zone Rouge“ habe ich schon gelesen. Dort sollen sich noch recht viele Banditen aufhalten. Die haben es aber hauptsächlich auf Zebus abgesehen, deswegen fühlte ich mich relativ sicher. Außerdem wusste ich nicht, dass die Gegend hier auch dazu gehört. Wenn ich mit dem Fahrrad ankomme, eine Vazaha mit Helm, sind die Einheimischen viel zu erstaunt, um mir was anzutun. Taxis sind viel gewöhnlicher und sehen eher nach Geld aus. Ich glaube, kein Madagasse kann sich vorstellen, freiwillig mit dem Fahrrad über die Insel zu fahren, wenn man genug Geld hätte, andere Verkehrsmittel zu nutzen. Selten habe ich mich so sicher gefühlt wie auf dem Rad auf der Insel.

Aber zurück zu meinem Sturz. Mein Fahrrad hat mal wieder bewiesen, dass es unkaputtbar ist. Keine Speiche hatte auch nur einen leichten Knick, obwohl der Vorderradgepäckträger sich da durchgeschlängelt hat. Eigentlich fehlte nur eine Schraube und die hatte ich sogar noch ersatzweise. Der Fahrer des Taxis hat sich vergewissert, dass alles fest angezogen war, und der weibliche Teil der Besatzung hat sich um mein leibliches Wohl gesorgt. Als sie das Gefühl hatten, man könne mich wieder allein lassen, fuhren sie von dannen.

Ich hatte dann nur noch ein paar Kilometer bis zur geteerten Straße, an deren Einmündung es auch Kaffee gab. Leider war das Angebot nicht sehr umfangreich und der Kaffee einfach schrecklich, aber zum Überleben reichte es. Hauptsache, mit Wasser konnte ich mich wieder eindecken.

Auf der ganzen Strecke bis Ankilizato war das Angebot nicht wesentlich umfangreicher. Einmal kam ich an einem Stand mit Mangos vorbei. Die waren auch nicht meinen Anblick gewohnt. Die kleinen Kinder liefen schreiend davon. Trotzdem habe ich haltgemacht und ein paar Mangos verzehrt. Die Leute saßen wegen der Hitze unter dem Stand.

Ich habe mich unter einen Baum gesetzt. Langsam haben sich die Kinder auch davon überzeugt, dass auch ich ein menschliches Wesen bin. Nachdem ich ihnen meine leeren Wasserflaschen geschenkt habe, über die sie sich immer sehr freuen, bin ich weitergefahren. Aber wegen der Hitze habe ich bei jeder Möglichkeit haltgemacht. Wahrscheinlich war ich seit Langem die erste Weiße, die hier aufgetaucht ist und dann auch noch haltgemacht hat. Keiner sprach Französisch, so haben wir uns nur angestarrt. Einmal war es ein Dorf, d. h. ein paar Strohhütten, in der Mitte ein großer Baum, in dessen Schatten habe ich mich niedergelassen. Schon bald war ich umringt von extrem jungen Müttern mit deren Babys und ein paar jungen Burschen, die wahrscheinlich die Väter waren.

In einem Sack hatten sie ein junges Zicklein, mit dem sie recht rüde umgegangen sind. Wahrscheinlich waren sie auf dem Weg, es zu töten. Als sie mein Erstaunen bemerkten, haben sie das arme Tier noch mehr in der Gegend herumgeschleudert und dabei gelacht. Ich dachte nur, vielleicht gehört das auch zu der Überlebensstrategie. Viele Männer haben hier die Eckzähne durch Goldzähne ersetzt und die Frauen zwischen den Schneidezähnen ein Glitzerteil – eine Art „Tooth-Piercing“.

Den nächsten Halt machte ich an einem Schulgebäude. Natürlich war mal wieder kein Unterricht. In einem Klassenzimmer waren zwei Tafeln aufgestellt. Beide waren mit dem heutigen Datum versehen, aber auf der einen Seite auf Französisch und auf der anderen Madagassisch. Keiner der Schüler, die noch herumstanden, sprach auch nur ein Wort Französisch.

In Ankilizato bin ich recht früh angekommen, aber nichts in der Welt hätte mich verleiten können, weiterzufahren. Zuerst einmal habe ich mir an der Bar eine kühle Cola gegönnt und Limonade, umzingelt mal wieder von Millionen Kindern.

Dafür, dass das Dorf eigentlich kaum Platz auf der Landkarte einnahm, hatte es hier ganz schön was zu bieten. Es gab einen der schönsten, buntesten Märkte auf der Insel. Hier herrscht nämlich „Produktion“, was sich hier noch ausschließlich auf Landwirtschaft bezieht. Darum können die Kinder auch nicht in die Schule gehen, wie mir berichtet wurde; sie werden daheim gebraucht.

Nach der günstigen letzten Nacht habe ich mir hier ein Zimmer genommen, das alles zu bieten hat, was ich letzte Nacht vermisste: den Generator, Hunde und Hähne und natürlich die Hitze unter dem Wellblechdach. Dafür hat mir ein kleiner Junge für meine „Bucket Shower“ zwei Eimer voller Wasser, und er voller Stolz, in mein Zimmer geschleppt.

Das Mädchen, das zum Haus gehörte, erzählte mir, dass die Franzosen, die ich am Tag zuvor getroffen hatte, die Nacht vorher hier waren. Sie hatten mich schon angekündigt.

Morondava 104 km Donnerstag, 05.10.2006

Endlich bei den Baobabs. Die letzte Etappe war wunderschön. Nach dem letzten Hügel wurde die Gegend recht feucht; überall wächst richtig was zu essen, hauptsächlich Bananen und Reis. Die Madagassen brauchen hier wirklich keine geteerten Straßen, höchstens für die Touristen.

Eigentlich wollte ich eine statistische Erhebung machen, wie viele Autos ich pro Stunde sehe, aber als dann sechs Minuten nach dem ersten das nächste Auto kam, habe ich es wieder aufgegeben. Das hat doch gleich die ganze Statistik versaut. Außer hier in Morondava kann man den Verkehr nicht zu den Stressfaktoren zählen. Heute waren es auch nicht die Berge oder die Hitze; höchstens den Gegenwind könnte ich zur Klage anführen, aber so wild war er dann auch nicht.

Den Zustand der Straße kann man nicht durchgehend als geteert bezeichnen; das war vielleicht mal vor Jahren. Ich finde es beruhigend, dass sich die Natur mit der Zeit den Platz zurückerobert.

So bin ich zwischen Bananen, Mangos, Reis und badenden Kindern hierher getrottelt. Hier in der Stadt ist Fahrradfahren nicht gerade der Hit. Auf allen Straßen liegt mindestens 20 cm Sand. Bis zu meinem Hotel durfte ich 1,5 km schieben.

Das konnte mich auch nicht mehr erschüttern. Es liegt dafür sehr schön und ruhig, zwischen Kanal und Meer. So kann man auf der einen Seite die Süßwasser- und auf der anderen Seite die Salzwasser-Pirogen beobachten. Wie abwechslungsreich! Bis Montag bleibe ich hier, dann fliege ich weiter nach Toliara (Tulear), das Ticket habe ich schon. Hier wird zuerst mal ausgeruht und dann ein bisschen getourt.

Morondava 0 km Freitag, 06.10.2006

0 km – das klingt nach Erholungstag. War es auch – fast. Zumindest fürs Fahrrad. Das stand die ganze Zeit im Zimmer. Ich dagegen bin recht viel herumgelaufen. Aber zuerst habe ich mal ausgeschlafen. Auch wenn die „Anfahrt“ zu dem Hotel recht beschwerlich war, hier ist es so schön ruhig, dass es sich auf jeden Fall gelohnt hat. Ruhig und relativ kühl, so richtig erholsam. Selbst die Hähne krähen erst um 6 Uhr.

Hier ist der Grund zum Jammern: Der Kaffee ist erbärmlich! Milch gibt es nur als Kondensmilch und die ist recht süß. Von der Straße ist man ja so was schon gewohnt, aber im Hotel ist die Qualität normalerweise besser.

Mir war eh klar, ich fresse mich wieder durch die Stadt, darum war mir das Frühstück nicht so wichtig. Auf der Bank habe ich mal wieder einen Stapel Geldscheine geholt. Der Großteil kommt in die Plastiktüte, ein kleiner Teil in den Geldbeutel und die kleinen, versifften, speckig-dreckigen Teile in die Hosentasche. Münzen gibt es nicht. 100 Ariary sind 4 Cent. Diese Geldscheine werden überall herumgeschmissen, sehen dementsprechend aus und stinken. Eigentlich erschreckend, was es dafür schon alles gibt. Sich durchzufressen ist, wenigstens für Europäer, recht günstig.

Nicht so überzeugend waren die Touren zum Parc Kirindy! Nach reiflicher Überlegung bin ich doch noch zu der Überzeugung gelangt, es ist besser, dort zu übernachten, und dass das Fahrrad die beste Option ist, dorthin zu kommen. Da ich das meiste Gepäck im Hotel lassen kann, wird das ja direkt eine Genussfahrt.

Dann habe ich gedacht, ich sollte mich mal zu Hause melden und habe mich in ein Cyber-Café gesetzt. Ja, so was gibt es hier in diesem Touristenort auch. Aber wahrscheinlich war da auch Sand im Getriebe, denn nachdem meine Mailbox nach 10 Minuten immer noch nicht offen war, bin ich unverrichteter Dinge wieder gegangen. Den Rest des Tages habe ich wirklich Urlaub gemacht, schlafend, lesend, Musikhörend.

Am Strand war ich auch. Den gibt’s hier nicht nur auf der Straße – kilometerlang, leider auch breit. Vom Anfang des Strandes bis zum Meer war es ganz schön weit und dann nochmals so weit von knöchelhohem Wasser bis kniehoch. So weit zu laufen, dass es sich lohnt, den Badeanzug zu holen, wollte ich dann auch nicht.

Außerdem war der Wind recht stark, der Sand auf den Straßen muss ja Nachschub bekommen. So erobert das Meer die Stadt zurück. Den Sand fernzuhalten würde wahrscheinlich zu viel Anstrengung kosten, was nicht dem Naturell der Madagassen entspricht. Und wohin soll man mit dem Sand? Also doch lieber der Natur freien Lauf lassen.

Kirindy Forest (62,4 km)Samstag, 07.10.2006

Ja, es ist schon möglich, mit dem Fahrrad in den Naturpark zu fahren, aber einfach ist es nicht. 47 km durch Sand mit dem ganzen Gepäck wäre noch mehr zum Abenteuer geworden, aber so in der „Travel light“-Version – lachhaft. Schon vor 6 Uhr war ich wieder am „Sandeln“. Zuerst durch den Sand, um auf dem Markt noch einen Kaffee und ein paar „Goodies“ zu mir zu nehmen. Aber dann keine große Zeit verlieren, sondern so viel wie möglich in der morgendlichen Kühle fahren.

Die erste Strecke kannte ich ja schon. Aber dann ging es links ab. Schon als ich das erste Mal da vorbeigefahren bin, wurde mir bei dem Anblick recht schummrig. Aber jetzt gab’s kein Zurück mehr, nichts wie hinein ins Vergnügen. Bis zur Baobab-Allee war’s ein Muss! Allerdings fand ich diese dann nicht so außergewöhnlich spektakulär. Wahrscheinlich ist sie das auch nur bei Sonnenauf- oder Untergang. Aber die sind hier auch ohne Allee spektakulär!

Ich weiß nicht, was mich weiter getrieben hat, aber irgendwie bin ich immer weiter gefahren. War sehr abwechslungsreich: mal weißer Sand, mal roter Sand, dann brauner Sand oder grauer Sand – ganz schön bunt, Hauptsache Sand. Hier eine kleine Sandologie: Weißer Sand ist meistens sehr lose und tief. Im schlimmsten Fall heißt es Absteigen – wenn man es nicht eh schon unfreiwillig gemacht hat – und einen festeren Untergrund suchen, z. B. roten Sand. Dieser ist meist gut befahren; wenn nicht, dann ereilt einen hier das gleiche Schicksal wie bei weißem Sand. Brauner und grauer Sand sind, besonders wenn feucht, das kleinere Übel. Besonders nett ist es, wenn man gerade einen festeren Untergrund hatte und auf einmal ein 4×4 angedüst kommt. Da bleibt einem nicht viel übrig, als in den losen Sand zu springen. Beim Anblick der Taxi Brousse, die bis oben hin mit Leibern und Gepäck vollgestopft sind, war ich doch noch mit meiner Situation recht glücklich.

In Marofondilia, das eigentlich auf der Karte ein recht großer Fleck ist, in Wirklichkeit aber fast nur aus einem Souvenirshop besteht, in dem Schnitzereien von lokalen Künstlern verkauft werden, hieß es, es sind noch ungefähr 15 Kilometer. Eins muss man den Madagassen lassen, mit Streckenangaben sind sie immer recht korrekt. „Das schaff ich auch noch“, dachte ich natürlich. Es ging noch wie gehabt ungefähr 12 km an der „Hauptstraße“ entlang, bis die Abzweigung kam. Und immer, wenn man denkt, es kann nicht schlimmer kommen, wird man eines Besseren belehrt. Zuerst hieß es nur noch Schieben, durch tiefe, mit Sand – was sonst – gefüllte Fuhrrillen. Ab und zu konnte es durch ein paar Meter Fahren unterbrochen werden. So ging es 5 km. Kurz vor Schluss dachte ich, jetzt bloß nicht hinfallen, und schwupps lag ich. So blieb ich zuerst mal sitzen und habe den Schmetterlingen zugeschaut. Sonst war nichts los. Mittlerweile war es auch recht heiß. In vollem Vertrauen, dass auch hier die Streckenangaben stimmen und es nicht mal mehr einen Kilometer ist, bin ich wieder aufgestanden und „weitergefahren“ / weitergeschoben. Und tatsächlich sah ich bald darauf das Willkommensschild, sogar auf Deutsch. Der Park ist anscheinend auch Station für das Primatenzentrum der Universität Göttingen.

Endlich Schatten und Ausruhen. Es war gerade Mittagszeit, also kein Grund, Tiere sehen zu wollen. Bei der Hitze machen sogar diese Siesta. Leider habe ich das Mittagessen abgelehnt, das sie mir auftischen wollten. So musste ich ganz schön lange warten, bis ich endlich was zum Essen bekam.

Als ich ankam, war es noch recht ruhig. Mit einem Guide habe ich ausgemacht, dass wir von 3 bis 5 Uhr eine Tagestour machen. Wie schön, einfach nur herumzuhängen, das ist fast wie im Urlaub. Schon bald kamen braune Lemuren zum Lagerplatz.

Auch recht, wenn die zu mir kommen, dann muss ich schon nicht zu ihnen. Trotzdem sind wir um 3 Uhr losspaziert. Der Guide will ja auch sein Geld. Es hat sich auch wirklich gelohnt. Ein paar nette Fotos konnte ich von mind. vier verschiedenen Lemurenarten und drei Reptilienarten machen, obwohl ich bei der Hitze und Trockenheit nicht viel erwartet hätte. Zurück im Camp war ich ganz schön fertig und habe mich hingelegt. Essen musste noch warten.

Inzwischen sind andere Touristen angekommen und ich musste meinen Guide mit sechs anderen teilen. Was mir eigentlich nichts ausgemacht hätte, wenn dadurch sich die ganze Tour nicht um eine Stunde verlängert hätte. Das hat, hungrig und müde wie ich war, nicht mein Wohlwollen gefunden. Aber wegen den anderen Touristen habe ich mich zurückgehalten. So ist es halt, wenn man mit der Gruppe unterwegs ist.

Nachts konnten wir nun den Nachtlemur sehen. Die gehören zu den kleinsten Lemuren, sehen aus wie Mäuse und springen von Ast zu Ast. Auch das Chamäleon vom Mittag haben wir wieder gesehen, es hat sich seither nicht viel bewegt. Da war ich dagegen hyperaktiv.

War ich glücklich, endlich meinen Reis zu bekommen und dann ab in den Schlafsack. Nachts bekam ich Besuch von einer Fossa, einer Art Fuchs. Wegen dem Tier hatte am Mittag eine japanische Touristin, die wahrscheinlich einen Führer schreiben wollte, einen der Guides schier in den Wahnsinn getrieben.

“But why cannot I see one. I need a photo…” – “it’s too hot, they come out at night” – “but where are they now, I cannot wait…”

Weder das Englisch der Japanerin noch das des Guides war für die Verständigung von Vorteil.

Morondava 62,4 km Sonntag, 08.10.2006

Hier lieg ich nun und warte auf mein Gepäck. Ich war schon früh am Mittag hier und jetzt ist es schon am Abend. Das Zimmer habe ich sofort wiederbekommen, aber ohne meine Sachen kann ich nicht duschen, Haare waschen und vor allem nicht mich umziehen. Dabei hätte ich es so nötig. Aus lauter Frust habe ich eine Flasche „Fresh“ (Radler) „runtergezogen“. Das war zu „fresh“, jetzt friert es mich richtig. Dies ist mal wieder ein Tag mit vielen Auf und Abs.

Heute Nacht hat es das erste Mal geregnet und wieder mal war zwischen Matte und Zeltboden alles nass. – So schnell kann es gehen, halb gejammert ist schon ganz gewonnen. Frisch geduscht sitze ich jetzt zu Tisch. Ich weiß allerdings nicht, ob es richtig ist, was zu essen. Seit dem Radler habe ich ein recht komisches Gefühl im Magen. Vielleicht ist es auch ganz einfach Hunger. Die Nacht wird es zeigen. In Kirindy sind mir zwei recht übel aussehende, magenkranke Touristen über den Weg gekrochen. – Also weiter zu den Auf und Abs des Tages.

Mit Zelt gleich zusammenpacken war es nichts. Dafür konnte ich es während dem Frühstück aufhängen. Es war dann nicht mehr so nass, als ich losfuhr. Als ich so in der Nacht im Zelt lag und der Regen runterprasselte, in der Aussicht auf den Rückweg und dem Wissen, die Regenjacke in Morondava gelassen zu haben, war es schon komisch. Der Regen hatte aber auch seine positiven Seiten: Erstens: der Sand ist fester und zweitens: es ist lange nicht mehr so heiß. Also bin ich voller Zuversicht nach dem Frühstück losgezogen. Auch die frühe Morgenstunde eignet sich normalerweise gut für „Animal Watching“. Wie sich’s herausstellte, kann man das auch vom Fahrrad. Bike-Safari sozusagen. Zwei Fossas standen mitten auf dem Weg und haben sich gewundert, was ich schon hier will. (– also das Essen habe ich lieber stehengelassen und bin lieber gleich ins Bett –)

Die Rückfahrt kam mir weniger anstrengend vor, es war auch noch erheblich kühler. Allerdings hatte ich ganz schön Hunger. Am ersten Stand, der endlich aufgetaucht ist, habe ich mir eine ganze Bananenstaude gekauft und zur Verwunderung der Frau fast alle auf einmal verdrückt. Da war auch die Einmündung in die geteerte Straße nicht mehr weit, wo ich wusste, dass noch weiteres leckeres Essen auf mich wartet. Es war noch früh und ich hatte es nicht eilig, nach Morondava zurückzukehren. An der Polizeisperre, die es hier immer wieder an Ortschaften gibt, habe ich mein Fahrrad abgestellt. Als ich zurückkam, hat der Polizist sich als wichtig aufgetan. Sobald sie eine Uniform anhaben, meinen sie, sie wären die Kings (wie ich später erfuhr, gehören sie auch zu den am besten bezahlten Berufen). Nachdem ich mich nicht einschüchtern ließ, ließ er mich fahren. Eigentlich war der Tag gelaufen, ich sehnte mich nur noch nach meinem Liegestuhl auf der Veranda des Tri-Cigogne. Da verbrachte ich dann den Rest des Tages. Der Rest ist ja bekannt. Mein Magen hat sich auch wieder beruhigt.

Toliara 35 km Montag, 09.10.2006

Und schon wieder geht ein Faulenzertag zu Ende. Ab morgen wird wieder gestrampelt. Wenigstens bin ich recht früh aufgestanden und habe zum letzten Mal mein Fahrrad durch den Sand geschoben. Es hat anscheinend wieder in den frühen Morgenstunden geregnet. Schon recht früh war ich am Flughafen. Ich war wahrscheinlich die Erste, die eingecheckt hat. Das hat den Vorteil, dass das Bodenpersonal noch recht entspannt ist. Eine große Satteltasche und die Lenkertasche habe ich als Handgepäck auserkoren, damit ich es nicht gar so sehr mit dem Übergepäck übertreibe. Da ich Business Class geflogen bin – etwas anderes war nicht mehr frei – hatte ich immerhin 30 kg Freigepäck. Das Fahrrad und all die anderen vier Taschen wurden exakt gewogen. Eigentlich hätte es mich schon interessiert, wie viel ich da immer mit mir herumschleppe. Aber als ich gefragt habe, wie viel Gewicht es jetzt eigentlich ist, hat der Angestellte nur mit einem Augenzwinkern „30 kg“ gesagt. Vielleicht ist es wirklich besser, ich weiß nicht, wie viele Kilos es jetzt eigentlich sind.

Die Westküste von oben zu sehen, hat mich davon überzeugt: Meine Entscheidung zu fliegen war richtig. Man muss ja nicht überall durchgeradelt sein.

Es ist recht ausgestorben und verwüstet. Bei der Durchquerung der Flüsse wäre das Problem nicht das Wasser, sondern der Sand! Das ist schon sehr erschreckend, wenn man das so sieht. An den Windungen erkennt man, dass es eigentlich Flüsse sind. Straßen sind zwar sandig, verlaufen aber relativ gerade. Nur in einem Fluss konnte man ein wenig Feuchtigkeit erkennen. Da war auch das einzige Dorf. Man kann nur hoffen, dass die Regenzeit die Flüsse wieder mit genug Wasser füllt. Also fliegen war sicher die bessere Alternative.

In Toliara habe ich mich gleich im „Chez Alain“ niedergelassen. Das liegt recht günstig. Da bin ich morgen gleich wieder auf der richtigen Straße, um weiterzufahren.

Das ist die erste Stadt, in der es wirklich von deutschen Touristen wimmelt, wohl organisiert in Reisegruppen, mit extra Bussen. Es hält mich wirklich nichts hier. Ich hatte aber auch keinen Nerv, nach Ifaty hinauszufahren. So bin ich recht orientierungslos in der Stadt herumgefahren. Ich musste mich von einem Uniformierten zurechtweisen lassen, weil ich eine Einbahnstraße falschherum gefahren bin – wirklich lächerlich. Morgen fahre ich wieder weiter. Insgesamt hat mir die Stadt nicht gefallen, aber sie hat einen schönen großen Markt. Dort hat mir ein kleiner Junge ein Essen abgeluchst. Zuerst dachte ich, eine Schüssel Reis sollte man ja keinem Jungen abschlagen, aber er hat sich die Luxusversion bestellt, bevor ich überhaupt reagieren konnte. Er hat auch so ausgesehen, als ob er das öfter machen würde.

Als ich an der Markthalle vorbeigefahren bin, kam ein Singen und Klatschen heraus. Darin war ein „Troubadour“ mit Flöte, und alle Marktfrauen und -herren haben mitgesungen und mit Messer und Beil den Takt dazu geklopft.

Endlich sah ich Flöte und Flötist von Nähe. Wenn ich meine Flöte nicht im Zimmer gehabt hätte, hätte ich gleich mitgemacht. Abends habe ich noch im Restaurant von „Chez Alain“ eine Portion Pasta mit Gemüse verzehrt, damit ich morgen wieder richtig loslegen kann.

Mahaboboka 106 km Dienstag, 10.10.2006

Ich brauchte nicht alles geben, mir wurde fast alles genommen. Die ganzen 100 Kilometer hatte ich Gegenwind, der sich auch in Neuseeland hätte sehen lassen können. Wenn sich eines nicht lohnt, dann ist es, gegen den Wind anzukämpfen. Den stört es nicht, dass ich da angeradelt komme. Er bläst halt, und das anscheinend schon seit drei Tagen. Und ich hoffte noch, dass er um die Mittagszeit aufhört. Auf den ersten 20 km leistete mir ein madagassischer Rennradler Gesellschaft. „Ich bin natürlich verheiratet und habe zwei Kinder.“ Er ist noch alleinstehend, weil er lieber Fahrrad fährt. Er hat auch bei der „Tour de Madagasse“ mitgemacht. Schon beeindruckend, wie er neben mir her gestrampelt ist. Wenn ich wegen dem Gegenwind zu sehr geflucht habe, meinte er nur ganz ruhig: „Doucement“. Recht hat er eigentlich. Alles andere kostet nur unnötig Energie.

Für die ersten 66 km brauchte ich sechs Stunden. Das einzige Gute daran war, es wurde deswegen nicht so heiß. Aber der Gegenwind trocknet ganz schön aus. Zum Glück hatte ich mich gestern Abend noch mit Wasser eingedeckt. Bis Andranovory (66 km) gab es praktisch nichts. Aber dann habe ich wieder ganz schön zugeschlagen. Der Ort besteht praktisch nur aus „Food Stalls“ – Essen, soweit das Auge reicht. Und man kann das auch ungestört zu sich nehmen, weil das der einzige Daseinszweck des Dorfes ist. Hier ist die Abzweigung auf die Schotterpiste in den Süden. Alle Busse und Taxi-Brousses machen hier noch mal Halt. Sobald eines angekommen ist, schnappen zig Frauen ihre Schüsseln und Körbe mit irgendetwas zu essen, Kaktusfrüchte, Bananen oder Backwaren, und sprinten los. Wegen mir haben sie sich nicht gerührt. Aber ich bin trotzdem zu meinen Kalorien gekommen.

Irgendwann musste ich mich doch wieder von all dem Essen losreißen. Aber vorher habe ich noch diesen Ort, Mahaboboka, auf der Karte entdeckt und habe diesen auserwählt, mich beherbergen zu dürfen. Viel entspannter fuhr ich weiter. Die Landschaft wurde bergiger, dafür ließ der Wind nach und es war einfach wunderschön. Die Canyons lassen sich schon erahnen.

Vor diesem Ort haben mich Kinder mit Chamäleons gejagt. Das fand ich dann nicht mehr sehr witzig.

Überhaupt fand ich das nicht sehr einladend für ein Dorf, in dem ich eigentlich übernachten wollte. Am Anfang vom Ort war es noch erbärmlich ärmlich. Am anderen Ende habe ich in einem Hotely eine dicke „Mama“ nach einer Übernachtungsmöglichkeit gefragt, wie üblich wurde mir gleich ein Zimmer angeboten.

Aber auch hier zog ich wieder lieber mein Zelt vor. So landete ich mal wieder im Hinterhof zwischen Enten und Holzkohle. Als das Zelt aufgebaut war, wollte ich eigentlich nur kurz spazieren gehen. Aber die Tochter des Hauses hat mich zum Fluss hinuntergeführt, der sogar Wasser hatte. Eine Frau saß schon nackt drin und hat sich gewaschen. Da verstand ich sofort, was von mir erwartet wurde. Das war allerdings nicht so nach meinem Geschmack. Landauf und landab habe ich gesehen, dass Männer und Frauen sich zum Waschen nackt in den Fluss, Tümpel oder sonst was setzen. Trotzdem überkam mich eine Gênance. Und überhaupt, was weiß ich, was sonst noch in dem Fluss kreucht und fleucht! So bin ich nur mit den Sandalen bis zu den Knien ins Wasser und habe immerhin Arme und Beine gewaschen.

Danach kam auch der Herr des Hauses heim. Der sprach zum Glück recht gut Französisch, ein Lehrer. Er meinte, er müsse – oder wolle – mich dem Ortsvorsteher, der auch Sicherheitsbeauftragter ist, vorstellen, damit dieser weiß, dass ich hier übernachte. Davon habe ich schon gelesen, diese Vorsichtsmaßnahme hat auch ihren Ursprung in alten Geschichten. Dieser Ortsvorsteher war ein ganz junges Bürschchen und hatte nichts dagegen, dass ich hier übernachte. Dann wurde für mich noch gekocht: Unmengen von Reis und eine leckere Tomatensoße mit Rührei. Dazwischen war ich immer von mindestens zwanzig Kindern umgeben, die Geld, Bonbons oder Kugelschreiber wollten. Obwohl es hier eine recht fruchtbare Gegend ist, sind die Kinder in einem erbärmlichen Zustand, es gibt einfach auch viel zu viele. Nach dem Essen hat mich der Lehrer über die korrupte politische Situation und die daraus resultierende Armut aufgeklärt. An allem ist der jetzige Präsident schuld. Das Volk hungert, hat weder Wasser noch Elektrizität, und der Präsident kauft sich ein Flugzeug für die Wahlpropaganda und zahlt bar. Im Dezember sind Wahlen und jeder hofft, dass der Vize aus dem Exil in Frankreich zurückkommt. Seine Meinung, dass der Tourismus so viel Gutes für Madagaskar bringen wird, teile ich nicht. Das große Geld werden, wie jetzt auch schon, die Patrons machen, und das sind Inder oder Europäer. Alle 4×4-Drives, Hotels etc. sind in weißer Hand. Die Madagassen dürfen weiterhin für einen Hungerlohn arbeiten. Mal ganz abgesehen davon, dass auch der Sextourismus zunimmt und ein Tourist das Vielfache an Wasser verbraucht, das es einfach nicht gibt.

Voller Stolz zeigte mir die Frau des Hauses die Dusche und Toilette. Gegen einen einfachen Holzverschlag habe ich ja nichts, aber auf dem Boden wimmelte es nur so von Kakerlaken! In diesem Fall ziehe ich doch die Natur vor und bin froh über mein Zelt, da kenne ich meine Mitbewohner.

Ilakaka 105 km Mittwoch, 11.10.2006

Als ich heute Morgen für meine Unterkunft zahlen wollte, haben sie nichts genommen. Nicht mal das Essen wollten sie bezahlt haben. Obendrein bekam ich noch einen Schal als Geschenk. Die Gastfreundschaft der Madagassen ist wirklich unschlagbar. Ich habe dann noch eine Flasche Wasser mitgenommen und diese dafür reichlich bezahlt.

Von Sarakaka bis Ilakaka ist Edelsteingebiet. Hier sind auf einmal ganz andere Leute als im Rest von Madagaskar, meistens indischer Abstammung. Jetzt ist mir auch klar, warum die Straße hier so gut ausgebaut ist. Erstens haben die hier Geld, zweitens sicherlich eine gute Lobby bei dem Präsidenten und drittens, wo sollen sie sonst mit ihren aufgemotzten Autos herumdüsen? Aber so wie es hier die Reichsten gibt, gibt es hier auch die Ärmsten. Das zeigt sich am Dreck, am Alkohol und an der Resignation. Ein kleiner Ort zwischen den Edelsteinhochburgen, Maninday, ist so ein Beispiel.

Dort ist es als Vazaha nicht angenehm. Richtig gefährlich ist es allerdings auch hier nicht. Dazu ist die überall vertretene Polizei- und Militärpräsenz viel zu stark. Von Weitem sieht man schon Reste von Plastiktüten und die Strohhütten sind höchstens Hundehütten, nicht mal um eine richtige Behausung kümmern sie sich nicht einmal mehr.

Vom Fahren her war der Tag recht angenehm. Es ging zwar recht den Berg hoch, aber nicht so schlimm. Außerdem ging ein Teil durch den Zombitsy-Nationalpark. Dort konnte ich während des Radelns Lemuren beobachten.

Ilakaka ist auf meiner Karte nur ein kleiner Punkt, was normalerweise drei Hütten anzeigt. Seit aber hier wieder Saphire gefunden werden, ist die Stadt explodiert, eine Atmosphäre wie in einer Goldgräberstadt. Alles dreht sich nur um Saphire. Jeder läuft mit einer Taschenlampe herum, womit sie anscheinend die Qualität des Steines beleuchten. Vorne, direkt an der Straße, sind bessere Läden, in denen man fast alles bekommen kann, auch sehr leckeres französisches Gebäck, wie Schneckennudeln und Éclairs, aber kein Honig und keine Erdnussbutter. Dahinter sind dann die Strohhütten derer, die es noch nicht geschafft, noch keinen Stein gefunden haben.

Ranohira 57 km Donnerstag, 12.10.2006

Was für ein schönes Fleckchen hier auf dieser Erde. Ich sitze an einem natürlichen Swimmingpool, aber nicht im Parc National de l’Isalo.

Der ist nämlich geschlossen. Was für mich nur schade ist, weil ich ein weiteres Stückchen Natur nicht sehen kann, bedeutet für die Guides des Parks die Katastrophe. Schon ein Polizeiposten auf dem Weg hat mir erzählt, dass es hier zwei Wochen nur gebrannt hat und deswegen alle Tiere geflohen sind. Das ist schon dramatisch. Aber dass der ganze Park – er umfasst immerhin 81.500 Hektar – geschlossen ist, erfuhr ich erst hier. Also nichts mit Campen am natürlichen Piscine. Die Guides haben damit einen extremen finanziellen Verlust. Wie lange es dauert, bis die Tiere wieder zurückkommen und die Pflanzen wachsen, wird sich zeigen.

Das Gebiet hier ist landschaftlich wunderbar. Die 28 km nach Ranohira waren einfach ein Genuss, trotz Gegenwind und Berge. Ich war die ganze Zeit beschäftigt, die verschiedenen Felsformationen zu bestaunen und zu fotografieren. Als ich hier ankam und vor verschlossener Tür stand, wollte ich trotzdem nicht gleich weiter. Zu lange habe ich von dem natürlichen Pool geträumt. Mir wurde dann als Alternative „l’Oasis de Benny“ genannt, mit ebenfalls einem natürlichen Pool und wo man auch zelten kann. Eigentlich wollte ich nicht so richtig, da dies wieder 15 km zurück bedeutet. Schließlich habe ich mich doch aufgerafft. Bis jetzt bereue ich es auch noch nicht. Es ist hier wirklich ein sehr angenehmer Ort. Nur zelten wollte ich hier nicht. Ich fahre lieber wieder zurück nach Ranohira, das sind dann morgen 15 km weniger.

Gerade habe ich einen grandiosen Sonnenuntergang gesehen. Ich liege schon in meinem Zelt mit wunderbarer Aussicht: Die ganze Bergkette vor mir. Einfach genial! Die Strecke „l’Oasis de Benny“ nach Ranohira bin ich insgesamt dreimal gefahren und ich könnte sie nochmals dreimal fahren. Trotz alledem, auch wenn der Park morgen wieder aufmachen sollte, ich ziehe weiter. Aber falls ich jemals wieder hierherkommen sollte, steht der Park sicher oben an. Dann hoffentlich wieder grün und mit Tieren.

Ihosy 90 km Freitag, 13.10.2006

Ob der permanente Gegenwind mit dem Datum zu tun hat? Die ersten 72 km waren wirklich der Horror. Wie gut, dass ich gestern wieder nach Ranohira zurückgefahren bin, sonst wäre es ja noch schrecklicher geworden. Geschlafen habe ich auch nicht so besonders, praktisch neben dem Generator, der den ganzen Ort mit Strom versorgt. Dieser wurde erst mit dem Morgengrauen, ungefähr 4:30 Uhr, abgestellt. Diese Energiequelle macht Ohropax zu einem der wichtigsten Reiseutensilien. Je ruhiger und abgeschiedener, desto lauter ist es nachts. Mal sehen, wie es heute wird. Ihosy ist alles andere als ruhig und abgeschieden. Hier gibt es große bunte Backsteinhäuser und das erste edle Kleidergeschäft, das ich auf Madagaskar gesehen habe.

Die Strecke heute war alles andere als interessant. Einfach nur flach, nichts, was den Wind hätte bremsen können. Den Autos konnte man stundenlang nachsehen. Ich hasse es, schon drei Stunden vorher zu sehen, wo ich vielleicht in sechs Stunden bei dem Gegenwind sein werde. Eigentlich war die Strecke recht kurvenreich, darum verstand ich den permanenten Gegenwind gar nicht. Aber bei der Stärke macht es vielleicht nichts mehr aus, ob er direkt von vorne oder leicht von der Seite kommt.

Es ist einfach nur traurig zu wissen, dass das ja alles einmal Wald war. Jetzt ist hier nichts mehr, durch Brandrodung noch weniger, und der Wind trägt den Rest noch fort. Kein Wunder, dass ich nur am Anfang durch eine Ortschaft gekommen bin. Hier kann kaum jemand überleben. Es hat mich doch sehr an das australische Outback erinnert.

Nach der Einmündung von der RN 13 vom Süden her, ging es um eine Kurve und – die ganze Pracht der Berge lag vor mir. Jetzt sah ich, dass ich auch ganz schön viel an Höhe gewonnen haben muss. Ihosy lag tief unter mir. Welch Freude da noch zum Ende des Tages aufkam! Jetzt ging es erst mal 8 km bergab. Die restlichen 10 km Gegenwind konnte ich dann auch wieder verkraften. Hier habe ich ein Zimmer genommen für 10.000 Ariary, das sind 4 Euro. Draußen bläst der Wind, es ist ganz schön kalt und ich bin froh, dass ich hier im Windstillen sitzen kann.

Ambalavao 92 km Samstag, 14.10.2006

Welch ein Tag! Man weiß nie, was kommt und wo man am Ende landet. So früh bin ich wahrscheinlich noch nie gestartet, es war kurz nach 6 Uhr. Das erste Abenteuer war das Frühstück am Taxi-Brousse-Stand. Einfach nicht hinsehen, was die anderen schon zu so früher Stunde verzehren. Zum Glück stinkt Fisch um diese Uhrzeit noch nicht. Ich hatte meine üblichen Bananen im Baguette. Dann ging es los. Der Wind war mir viel besser gesonnen als gestern. Es ging sehr schnell vorwärts. Die ersten 58 km waren ein Traum. Aber dann hatte ich den Bergkamm hinter mir und der Wind konnte mir wieder ungestört voll ins Gesicht blasen. Eigentlich war auf der gesamten Strecke nicht viel los. Die Bevölkerungsdichte geht gegen null. Ab und zu sah man schon ein paar Krale, aber nichts, wo man übernachten könnte. Außerdem ist das hier eine recht arme Gegend. Als ich an meinem vorgenommenen Ziel, in Arkaramena, ankam, war es erst 13:30 Uhr und ich wusste nur eins: Ich will eine Pause machen. Einerseits war es noch viel zu früh, um das Lager aufzuschlagen. Andererseits hat mir der Gegenwind die Lust zum Weiterfahren weggeblasen. Die nächsten 58 km bis Ambalavao sehen recht bergig aus.

Arkaramena ist mal wieder eine Anhäufung von Essständen, was mir natürlich recht gelegen kam. Anderen anscheinend auch, denn hier traf ich Franzosen, die für die „Électriciens sans Frontières“ (eine Organisation der EDF, der französischen Elektrizitätsgesellschaft) arbeiten. Wie es das Schicksal so wollte, fuhren sie auch weiter nach Ambalavao. Sie mussten aber vorher noch in ein „Centre de la Santé“, um die Installation von Solarzellen abzuklären. Das kam mir natürlich doppelt gelegen. Erstens hat mich ihre Arbeit interessiert, zweitens war so der Nachmittag sinnvoll verbracht und drittens kam ich so noch ein gutes Stück weiter. Also haben wir das Rad auf das Auto geladen und sind Richtung Andringitra-Nationalpark gefahren. Wirklich eine sehr schöne Gegend. Das „Gesundheitszentrum“ sah nicht gerade vertrauenerweckend aus.

Es machte eher den Eindruck einer Rumpelkammer, fast alles hatte einen UNICEF-Aufkleber, sogar ein älteres, aber total unbenutztes Fahrrad. Nach dem Anblick des Operationstisches hoffte ich nur, hier nie einen Unfall zu haben.

Es ging dann noch lange hin und her, wo die Batterie untergebracht werden soll, wie die Kabel verlegt werden sollten und ob aus dem alten Brunnen Wasser gepumpt oder ob ein neuer gegraben werden soll. Solche Teile sind ganz schön tief. 13 Meter hatte der alte. Die Qualität des Wassers hat mich auch nicht überzeugt.

Irgendwann ging es dann wieder zurück auf die RN 7 und durch fantastische Felsen- und Berglandschaft nach Ambalavao. Bei allem sportlichen Ehrgeiz: Ich war nicht unglücklich, dies nicht mit dem Fahrrad zu fahren. Der Wind hat immer noch ganz schön geblasen und es ging ganz schön den Berg hoch. In Ambalavao bin ich in das gleiche Hotel wie die anderen Herrschaften. Es war eines mit alter französischer Tradition, eine richtige Boulangerie war dabei. Zuerst habe ich gleich mal einen Flan verzehrt. Das Zimmer war auch okay und ich hatte das erste Mal seit zwei Wochen warmes Wasser. Zur Feier des Tages habe ich im Restaurant mit den anderen gespeist. Es kam noch ein Franzose dazu, den ich in Morondava schon mal getroffen hatte. Der hat ununterbrochen geredet. Da alles auf Französisch war, konnte ich mich nicht richtig beteiligen. Ich verstehe schon einiges, aber bis ich weiß, wie ich was auf Französisch sagen muss, sind sie schon wieder bei einem ganz anderen Thema.

Die Stadt ist übrigens sehr interessant, sehr bekannt für sein Handwerk, vor allem Stickereien. Auch das Papier mit den eingelegten Pflanzen wird hier hergestellt. Das Hotel war gleich neben einem riesigen Marktplatz, auf dem unter der Woche Zebu-Markt ist. Zum Glück war Wochenende.

Fianarantsoa 65 km Sonntag, 15.10.2006

Da ja nur 56 km bis hierher auf dem Programm standen, dachte ich, ich könnte ja länger schlafen, aber das geht wohl nicht mehr. Bis ich endlich zum Frühstück konnte, stand mein Fahrrad schon abfahrbereit da. Zuerst wurde noch mal richtig schön zugeschlagen, mit frischem Baguette. Dann ging es wieder durch wunderbare Landschaft. Die ersten 13 km nur bergauf, der Rest war okay. Es war aber sehr abwechslungsreich.

Oben auf dem Bergkamm hatte ich eine Begegnung der anderen Art. Ein T-Shirt vom Wild- und Freizeitpark Löffingen/Schwarzwald stach mir ins Auge, getragen von einem Jungen. Der wusste nicht mehr, wie ihm geschah. Natürlich sprach er kein Wort Französisch, hat also auch nicht verstanden, warum ich ihn unbedingt fotografieren musste.

Je näher man Fianarantsoa kommt, desto bevölkerter wird es. Eigentlich hätte ich gar nicht so viel frühstücken müssen. Trotz Sonntag wurde überall etwas zum Essen angeboten. In einem Ort, ca. 17 km vor Fianarantsoa, war ich in einem Gottesdienst. Die Kirche war oben auf einem Hügel und da nicht alle Leute in die Kirche hineingepasst haben, saßen noch Unmengen draußen auf der Wiese, wo auch Lautsprecher aufgestellt waren. Schon seit Längerem wollte ich mal in einen Gottesdienst, aber da ich immer sehr viel Aufsehen errege, wollte ich dem Pfarrer andererseits nicht die Schau stehlen. Dieser hat ja nichts davon mitbekommen. Sofort, nachdem ich mich zu den anderen gesetzt habe, standen gleich wieder ca. 50 Kinder um mich herum, schön in einem Halbkreis, mit Sicherheitsabstand. Die können einen mit einer Penetranz anstarren, das ist unglaublich. Der ganze Gottesdienst bestand nur aus Gesang. Eine junge Frau hat sich zu mir gesetzt und mich in ihr Gesangbuch sehen lassen. So konnte ich auch, zur Belustigung der anderen, mitsingen.

In Fianarantsoa war ich auch mal wieder recht früh. Das Hotel, das ich mir ausgesucht habe, gefällt mir nicht und ist auch recht teuer für den Preis. Eigentlich wollte ich im Garten zelten, aber das ist anscheinend nur erlaubt, wenn kein Zimmer mehr frei ist. Also habe ich doch ein Zimmer für 16.000 Ariary genommen.

Madagassische „Großstädte“ sind ja so schon schlimm, aber sonntags sind sie eine einzige Katastrophe. So absolut ohne Leben, alles Grau in Grau und geschlossen. Die ganze Stadt besteht aus einem Haupthügel „Rova“, wo die verrückte Königin ihren Nebenpalast errichten ließ, und verschiedenen Nebenhügeln. Also was die Lage anbelangt, bin ich mit dem Hotel doch recht einverstanden. Es ist nicht weit weg von der Hauptstraße. Ich bin mal wieder nur Sightseeing-mäßig durch die Stadt geradelt. Wo man nicht mehr fahren konnte, habe ich das Rad einige Stufen hochgetragen. Da oben wurde es auf einmal recht touristisch, viele Kinder sind hinter mir her und wollten mir irgendetwas verkaufen. Morgen muss ich dann noch in das Mad Air Office und mich im Supermarkt eindecken.

Ranomafana 61 km Montag, 16.10.2006

Was für ein genialer Tag mal wieder. Wegen meinen Erledigungen bin ich erst recht spät losgefahren. Die Zeit war aber ganz gut investiert, denn jetzt weiß ich, dass kein Flieger nach Tana geht. Also muss ich meinen (sowieso nicht so konkreten) Plan wieder umwerfen. Irgendein so ein kluger Mensch hat mal gesagt: „Planen ist alles, der Plan selbst zählt nichts.“ Oh, wie wahr. Außerdem habe ich keine Erdnussbutter im Supermarkt bekommen. Ich glaube, ich muss mich jetzt wirklich auf Bananen als Brotaufstrich einstellen.

Die ersten 10 km raus aus Fiana waren ein Alptraum. Überall wurden Ziegel gebrannt. Der Verkehr war, überhaupt für das, was ich sonst so gewohnt war, verheerend. Nach der Abzweigung von der RN 7 war es dann wieder ein Traum. Als ich losgefahren bin, habe ich festgestellt, dass ich nun zum dritten Mal die Schraube von meinem Fahrradschuh verloren habe. Das hat meine Laune auch nicht verbessert. Man kann hier in Madagaskar keine passenden Schrauben finden, man muss sie zurechtsägen. Eine Schraube hatte ich noch in der Tasche, und so geschäftig wie das auf der Ausfallstraße ausgesehen hat, dachte ich, müsste ich schon jemanden finden, der mir helfen kann. Und tatsächlich war so ein Handwerker am Gange und schwups, die wups war die Schraube zurechtgesägt. Natürlich hat er es auf die madagassische Art gemacht: kostenlos. Es war ihm eine Ehre. Ich habe ihm trotzdem Geld gelassen und besonders seinem Sohn meine Kekse.

Die Abzweigung nach Ranomafana hätte ich beinahe verpasst, wenn ich nicht zufällig die Straßenarbeiter gefragt hätte. Eigentlich sollte die Straße an die Ostküste neu geteert sein, aber es sieht so aus, als ob schon einige Ausbesserungen nötig sind. Es gab viele Baustellen auf der Strecke, besonders an Brücken, und fast die ganze Strecke war Rollsplit. Auch kein Genuss zum Fahren, aber ich bin ja schon Schlimmeres gewohnt. Da es fast nur bergauf ging, war der Belag kein so großes Problem. Kurz vor dem Nationalpark war mal wieder eine Ansammlung von Essensständen. Dort traf ich ein französisches Pärchen, das mir von heißen Quellen und Massage in Ranomafana vorgeschwärmt hat. Noch mal was, auf das man sich freuen kann.

Der Campingplatz, der zu dem Nationalpark gehört, ist ein Traum. Ich glaube, das ist überhaupt der erste Campingplatz, der überdachte Stellplätze hat.

Wahrscheinlich ist das auch im Regenwald angebracht. Hier ist es komplett anders als im Westen. Wasser ohne Ende, Bäche, Wasserfälle, somit auch Farne, Orchideen, Palmen. Nebel, Nebel, Nieselregen. Die Sanitären Anlagen sind zwar noch nicht nach europäischem Standard, aber weitaus besser als das, was man sonst auf Madagaskar geboten bekommt. Am Eingang des Nationalparks war auch gleich ein Guide da. Ich habe mich zu einer zweistündigen Nachttour hinreißen lassen, was sich aber als eine ganz schöne Abzocke herausgestellt hat. Der Eintritt in den Park kostet 25.000 Ariary, zwei Stunden nochmals 20.000. Das sind zwar nicht mal 20 Euro, aber fast ein Monatsgehalt von einem normalen Madagassen. Was man dafür geboten bekam, stand weit hinter dem von Kirindy. Es ist zwar alles schön für Touristen angelegt und es ist ein schöner Regenwald, aber schlussendlich wird man an einen Nachtplatz geführt, an dem es drei Arten von Tieren gibt: Fanaloka (eine Art Fossa), Mungos und den kleinsten Lemuren. Für sie werden Köder ausgelegt, damit sie auch immer rechtzeitig für die Touristen erscheinen. Sie sind den Rummel schon gewohnt, nicht mal das Blitzlichtgewitter, das auf sie niederging, konnte sie mehr stören. Man ist bei Weitem nicht der einzige Tourist, mindestens 20 andere sind auch schon da. Das Ganze hat dann auch keine zwei Stunden gedauert. So bin ich jetzt auch wieder um eine Erfahrung reicher. Zurück auf dem Zeltplatz habe ich gesehen, dass mein Zelt Gesellschaft bekommen hat. Eine ganze Herde deutscher Biologiestudenten, die ich teilweise schon am Parc d’Isalo gesehen habe, ist angekommen. Es war eine recht nette Abendunterhaltung.

Ranomafana 23 km Dienstag, 17.10.2006

„What a day!“ So ein Urlaubstag entspricht eher dem für eine Frau meines Alters. Heute Morgen bin ich eigentlich recht früh raus, was unter seniler Bettflucht oder besser Schlafsackflucht laufen kann. Mich wundert nur, wie lange es die Jugend in ihren Zelten aushält. Dann gab es mal wieder deutschen Nescafé, der nach dem schrecklichen Getränk am Vortag direkt köstlich schmeckte. Nachdem die Sonne den Nebel vertrieben hat, ging es hinab ins Dorf. Eine herrliche Abfahrt: 7 km entlang dem Fluss und überall Wasserfälle und Farne, eigentlich so wie man sich Madagaskar vorstellt, richtiger Regenwald.

Und weil es so schön war, bin ich gleich noch ein Stück weiter gefahren. Eigentlich schade, dass ich nicht von der Küste nach Tana fliegen kann. Irgendwann bin ich dann wieder umgedreht, dies sollte ja eigentlich ein Ruhetag sein. Natürlich bin ich nicht in das Bad, bevor ich nicht noch etwas gegessen hatte: zwei Joghurts und Bananen.

Das Bad war sicher zur Kolonialzeit recht edel, jetzt ist es leider ein bisschen heruntergekommen, aber sauber. Zuerst musste ich mich fünfzehn Minuten in eine Wanne mit heißem Wasser setzen, ich habe das kaum ausgehalten. Dann ging es zur Massage, die war sicherlich länger als 30 Minuten – einfach genial. Ich merkte, dass meine Waden doch ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Meiner Schulter tat die Massage auch sehr gut. Vor dem Schwimmbad brauchte ich zuerst mal eine Pause. Also zurück ins Dorf, etwas trinken und essen. Auch Postkarten habe ich noch gefunden. Aber ansonsten ist nichts los. Auch in der Badeanstalt sind kaum Touristen. Die, die kommen, schauen es sich nur kurz an und ziehen dann weiter. Als ich ins Schwimmbad kam, war nur eine Madagassin da. Ein älteres holländisches Pärchen war gerade am Gehen. Das Wasser war zum Glück viel zu warm zum richtig Schwimmen, sonst hätte es mich sicherlich geärgert, dass ich Schwimmmütze und Brille vergessen habe. So bin ich nur ein bisschen in dem warmen Wasser hin und her gepaddelt.

So lange ich dort war, waren fast nur Madagassen da. Es war so richtig schön erholsam. Auch die Fahrt den Berg hoch zum Campingplatz war recht angenehm. Wie anders alles doch in dieser Richtung aussieht. Einiges habe ich auf der Talfahrt total übersehen. Die deutschen Studenten waren von ihrem Tag nicht so begeistert, der Park ist tagsüber anscheinend voller Touristen. Zum Glück habe ich mir das erspart.

Ambositra 130 km Mittwoch, 18.10.2006

Mehr als zwei Autos pro Stunde vertrage ich einfach nicht mehr. Das hier ist die reinste Autobahn! Trotzdem habe ich es so lange ausgehalten. Fast immer ging es den Berg hoch. Wenn nicht die letzten 20 km einigermaßen bergab gewesen wären, hätte ich es nicht geschafft. Und alles hat heute schon recht anstrengend angefangen. Zuerst das ganze Gepäck samt Fahrrad vom Campingplatz hochtragen, dann die 6,6 km bis zur Abzweigung hochfahren, aber das war wunderschön. So früh morgens, die Vögel zwitschern und kaum ein Auto ist unterwegs. Dann die Abzweigung auf die Schotterpiste. Die war viel besser befahrbar, als ich zuerst vermutet habe, aber ganz schön bergauf und bergab, trotzdem wunderschön durch den Regenwald. Dann zurück auf die RN7. Zeitweise ging es ja, aber wie gesagt, mehr als zwei Autos sind unerträglich. Ich weiß ja nicht, mit was die hier fahren, aber es kommt immer recht schwarz aus dem Auspuff heraus, wenn es überhaupt noch fährt. Viele bleiben auch einfach auf der Strecke liegen, landen im Graben oder kippen einfach um. Ich bin davon überzeugt, auf dem Fahrrad wesentlich besser aufgehoben zu sein. Außerdem trägt man dann auch zur Belustigung der Bevölkerung bei. Als ich heute vollbepackt einen der hundert Hügel hochgestrampelt bin, stand eine alte Frau lachend und kopfschüttelnd am Straßenrand. Das einzige, was sie von sich gab, war „Ojiijojojoj“.

Zwei deutsche Radler sind mir heute begegnet. Die sind natürlich die „Warmduscher-Richtung“ gefahren. Ich glaube, außer mir tut sich kein Radler die Strecke in dieser Richtung an. Als ich hier in Ambositra (sprich: Ambuschtr) ankam, musste ich mich zuerst mal mit was Essbarem versorgen, dann war es auf einmal dunkel. So konnte ich nur noch ins nächste Hotel flüchten. Jetzt warte ich noch auf mein Essen und dann freue ich mich auf mein Bett. Das war hart an der Grenze heute.

Antananarivo 8 km Donnerstag, 19.10.2006

Nur 8 km geradelt und trotzdem ungefähr 280 km weiter. Wer auf Madagaskar nicht mal Taxi-Brousse gefahren ist, war nicht richtig auf Madagaskar. Na ja, ich hatte auch einfach keine Lust mehr, das letzte Stück auf der RN7 zurück in die Hauptstadt zu radeln. Es gibt sicherlich an der Ostküste schönere Strecken. Also habe ich mich nach dem Frühstück zu dem Taxi-Brousse-Stand aufgemacht. Noch bevor ich richtig dort war, stand schon eines da. Ruckzuck war das ganze Gepäck samt Fahrrad auf dem Dach verstaut. Während ich noch Kekse für die immerhin recht lange Fahrt eingekauft habe, ist der Wagen auf einmal verschwunden, aber man versicherte mir, dass er wieder kommt. Ich vertraute voll darauf. Tatsächlich kam es auch wieder und ziemlich genau um 7 Uhr ging es los, leider nicht nach Tana, sondern vorerst nur zum offiziellen Taxi-Brousse-Stand.

Dort wurde dann gewartet, bis der letzte Platz besetzt war. Vorher fährt kein Taxi, und wenn das Warten Stunden dauert. Bei uns waren es 45 Minuten, und keiner hat sich daran gestört. Die Fahrt selber war gar nicht so spektakulär. Wahrscheinlich, weil es ein „Long Distance“ Taxi-Brousse war. Jeder, der drin saß, fuhr bis Tana, und da jeder Platz schon besetzt war, gab es auch sonst keinen Grund anzuhalten. Einmal wurde doch angehalten, um Säcke voll von Ästen und Blättern aufzuladen, die dann in Antsirabe wieder abgeladen wurden. Nach einer kleinen Pause, die ich eingezwängt an meinem Fensterplatz verbrachte, ging es weiter, kurvig über das Hochland. Ich hatte damit zu kämpfen, dass mein Frühstück unten blieb. Das Fahrrad ist halt doch die bessere Alternative.

Von dieser Perspektive sah ich, dass man auch als Fahrradfahrer gefährlich lebt. Wegen diesen zweirädrigen Verkehrsteilnehmern wird nicht gerne gebremst, nur unwillig, wenn etwas entgegenkommt und man nicht mehr überholen kann. Das kann ganz schön knapp werden.

Ich weiß nicht, warum so viele Taxis umkippen oder liegen bleiben. Bei jedem Polizeiposten wird es genau überprüft. Deswegen war ich mir auch sicher, dass das Fahrrad samt dem anderen Gepäck heil oben bleibt. Trotzdem sah ich auch heute wieder einen spektakulären Unfall. Ein Lastwagen ist von der Straße abgekommen und hat die Hälfte eines Lehmhauses mitgenommen. Dafür hat er eine Hälfte vom Fahrerhaus dort gelassen. In Deutschland wären schon lange Funk und Fernsehen anwesend, aber hier hat man das Gefühl, es gehört zur Tagesordnung.

Ein drittes Mal hat das Taxi angehalten – zur „recreation“, wie meine Nebensitzerin meinte. Das sah dann so aus: Die Männer verschwanden auf der einen, die Frauen auf der anderen Straßenseite im Gebüsch. Für was braucht man hier öffentliche Toiletten? Nur wie sie das Problem mit dem Klopapier bzw. ohne Papier lösen, weiß ich noch nicht. Ich möchte ja auch nicht so genau hinschauen.

War ich froh, als wir exakt nach fünf Stunden in der Hauptstadt angekommen sind und ich alles Essen noch in mir hatte.

Auf der Straße hatte ich auf einmal wieder mit starkem Verkehr zu kämpfen, was ich absolut nicht mehr gewohnt bin. Da ich diesmal nicht in das Hotel Sakamanga wollte, habe ich mir ein anderes Hotel ausgesucht. Das hieß, zuerst mal durch die Innenstadt und die Bleibe suchen. Beim Ersten hat man gleich gesehen, das kann nicht fahrradfreundlich sein. Es war nur über eine lange, steile Treppe zu erreichen. Tana ist sehr bergig, da kommt so was schon mal vor. Also bin ich auf zur zweiten Alternative. Mit dem Moonlight Hotel hatte ich mehr Glück. Ich konnte mein Fahrrad fast bis ins Zimmer schieben und es ist sauber und günstig.

Da ich hier einiges zu erledigen hatte, musste ich gleich wieder los: Zuerst Geld holen, dann den ausstehenden Flug zahlen und, ganz wichtig, in den Supermarkt. Da war ich dann zu Fuß unterwegs, was ganz schön anstrengend war. Man ist den Bettlern viel mehr ausgeliefert. An jeder Straßenecke bekommt man Vanille angeboten oder anderen Schrott, was man als Letztes braucht. Außerdem wuseln immer Kinder zwischen den Beinen. Das geht ganz schön an die Nerven. Eine „normale“ Frau hat mich angesprochen. Sie hat angefangen, mir von einer Hilfsorganisation zu erzählen, aber ich habe schon ganz genervt abgelehnt, was ich nachher bereut habe. Eigentlich hätte es mich schon interessiert.

Ich weiß oftmals nicht, wie man sich hier richtig verhält. Ab und zu gebe ich schon was ab, obwohl ich weiß, dass es sie auch nicht viel weiter bringt. Das macht sie eher noch viel unerträglicher. Vielleicht sollte man den Kindern gar nichts geben, sondern nur einer Hilfsorganisation, die den Kindern Heim und Essen gibt. Warum gibt es hier nur so viele Kinder? „Ny olona no harena“ („Der Mensch ist der wahre Reichtum“, madagassisches Sprichwort)

Moramanga, 112 km, Freitag, 20.10.2006

Insgesamt war das ein ganz netter Tag, mit Auf und Abs bzw. mit Abs und Aufs, weil das Schlimme zuerst kam. Eine Stunde habe ich für die 7 km raus aus Tana gebraucht. Das war einfach nur schrecklich. Die Stadt besteht fast nur aus Kopfsteinpflaster, Hügeln und Einbahnstraßen. Straßennamen sind auch schlecht zu erkennen. Irgendwann war ich dann wenigstens in der richtigen Richtung. Ein madagassischer Radfahrer hat mich dann auf Schleichwegen auf die RN2 geleitet. Der Verkehr war aber noch die ersten 20 km ganz schön schrecklich. Dann ging es ständig bergauf. Weil ich überhaupt nicht damit gerechnet habe, ging es ganz schön auf die Nerven. Dann ging es wieder bergab und ein ganz schönes Stück eben. Als es dann wieder lang und steil bergauf ging, fand ich es erträglicher. Kurz vor dem Gipfel sind mir die zwei Motorradfahrer vom Anfang meiner Reise begegnet. Die kamen von der Ostküste und sind da vor dem Regen geflüchtet. Auf der Île Sainte Marie regnet es anscheinend nur noch. Da fällt mir auf, in Australien und Neuseeland war mir der Wetterbericht sehr wichtig. Aber hier war es mir eigentlich bisher recht egal, es war eh immer schön. Na dann bin ich halt mal gespannt, wie es meine letzten 10 Tage wird. Hoffentlich fallen meine Urlaubstage nicht ins Wasser. Ich wollte eigentlich schon noch ein bis zwei Strandtage verbringen.

Nach dem Gipfel kam eine der grandiosesten Abfahrten, richtig in eine Schlucht hinunter. Es ist einfach nett, wenn ein Bächlein nebenher plätschert und dies auch noch in die richtige Richtung. Da stören nicht mal die zahlreichen Tanklastzüge.

Die Straße geht weitgehend entlang der Eisenbahnstrecke. Ich verstehe nicht, warum sie die nicht in Betrieb gehalten haben. All die Container vom Hafen in Tamatave bis nach Tana wären auf der Schiene besser aufgehoben. Aber es sieht so aus, als ob die Strecke wieder in Gang gesetzt wird, wenigstens sind Arbeiten im Gange. Die Umwelt würde es danken, nicht auszudenken, was passiert, wenn so ein Tanker umkippt und dann auch noch ausläuft.

Am Schluss wurde es nochmals bergig, darum war ich nicht so früh hier, um über ein Weiterfahren nachzudenken. Das hier ist eine größere Stadt, es ist kein Problem, ein Hotel zu finden. Die Unterkunft wäre auch gar nicht so schlecht, wenn es Wasser gäbe und die Musik endlich aufhören würde. Die ganze Stadt hat anscheinend ein Wasserproblem. Wasser aus dem Hahn gibt es anscheinend erst morgen früh ab 6 Uhr. Ich habe dafür wieder so etwas, das Lonely Planet eine ‚Bucket Shower‘ nennt, eine Becherdusche. Zwei große Eimer mit nicht allzu sauberem Wasser und einem Becher, damit man das Wasser über sich rüberschütten kann. Für die Körperwäsche reicht die Wasserqualität, für den Rest gibt es Wasser aus der Flasche.

Heute habe ich das erste Mal wieder einen Flöte spielenden Hirten gehört. Scheinbar gibt es die nur im zentralen Hochland. Hört sich sehr schön an, überhaupt mit dem Echo in den Bergen.

Parc National Andasibe, 46 km, Samstag, 21.10.2006

Ist das schön ruhig hier. Nach der schrecklichen letzten Nacht ein richtiger Genuss. Um 20 Uhr hat die Musik kurz aufgehört, aber nur um 21 Uhr wieder mit voller Kraft beginnen zu können. Ich hatte das Gefühl, ich liege in der Mitte einer Disco. Wasser haben sie nicht, dafür Strom für die Verstärker ohne Ende. Mal wieder dank Ohropax konnte ich doch noch ein paar Stunden schlafen. Erst um 4:30 Uhr heute Morgen wurde es wieder ein bisschen ruhiger. Aber wie üblich bin ich kurz nach 5 Uhr aufgestanden, habe in der Dusche Kaffee gekocht, um frühzeitig loszukommen. Es war ja keine große Distanz zu bewältigen.

Irgendwie war ich richtig gut gelaunt und fühlte mich sogar ausgeschlafen. Die Strecke war zwar bergig, aber mal wieder wunderschön. Recht früh war ich dann auch schon hier und habe gefragt, ob es besser ist, gleich die Indris, Lemuren, zu sehen oder am späten Nachmittag. Dann hieß es am späten Nachmittag.

Also bin ich los, nach Andasibe und weiter durch den Wald zu einem der feudalsten Hotels auf ganz Madagaskar, der Forest Lodge. Es ging wunderschön durch den Wald auf einem erstaunlich guten Weg. Natürlich nicht geteert, aber trotzdem gut befahrbar. Nachdem man so durch den Dschungel geradelt ist, kommt ein Tor und danach ist man wie in einer anderen Welt: gepflegter Rasen (Golfplatz), bunte Büsche und Blumen. Direkt, halb über dem See, ist ein größerer Rundbau, das Hauptgebäude der Lodge. Schon schön, aber total realitätsfremd. Ich bin deswegen auch gleich wieder umgedreht.

880

Am Park habe ich halt gewartet, die Ruhe genossen und ein Pärchen getroffen, das mir schon öfters über den Weg gelaufen ist. Mal wieder eine deutsche Unterhaltung. Als es dann so weit war, nach einer Tour Ausschau zu halten, hieß es, das könne ich jetzt vergessen, die Indris sieht man heute nicht mehr. Ich hätte gleich heute Morgen gehen sollen. Na prima. Also habe ich das auch abgehakt. Vielleicht sehe ich sie morgen früh von meinem Zeltplatz aus. Aber ich bleibe nicht noch mal einen Tag und Nacht hier. Es ist mir hier nicht so ganz geheuer. Gerade sieht es so aus, als ob ein Gewitter aufkommen würde.

Nachdem das mit der Tour nichts war, habe ich beschlossen, dass ich ausgiebig dusche. Als ich dann so nackig dastand, kam kein Wasser mehr. Ich habe es erst am Morgen überprüft. Irgendwie fand ich das dann schon wieder zum Lachen. Welcome in Africa! Also anziehen und zurück an die Rezeption des Parks, um mal wieder meine Klagen vorzubringen. Ich bin schon eine üble deutsche Touristin! Habe mich schon beklagt, dass das Licht nicht funktioniert. Wann lerne ich endlich, dass ich hier in Afrika bin und ich froh sein sollte, wenn überhaupt mal was funktioniert? Nach Überprüfung der Wasserrohre kam dann die Nachricht, dass Arbeiten im Gange sind und das Wasser bis in einer Stunde wieder kommen sollte. Und tatsächlich plätscherte es gegen später wieder. Aber meine Lust zum Duschen war zwar nicht weggewaschen, aber irgendwie anders abhandengekommen. Es wird auch gleich dunkel und wie gesagt, das Licht funktioniert nicht. In der Zwischenzeit habe ich das gemacht, was ich eigentlich immer machen könnte: gegessen. War sogar mit Kochen verbunden. So, jetzt wird es voll dunkel, mal sehen, was das Wetter noch so macht.

Brickaville, 116 km, Sonntag, 22.10.2006

Was für ein prima Radtag! Die ersten 30 km waren einfach ein Traum, die haben mich dafür entschädigt, dass ich doch keine Indris mehr gesehen habe. War wahrscheinlich auch recht früh. Die Nacht war nicht so angenehm, obwohl das Gewitter nicht kam. Dafür haben die Guides gefeiert, es war ja auch Samstag. Da ist sonst weit und breit nichts, nur der Campingplatz und auf der anderen Straßenseite das Haus für die Tourguides. Heute Morgen bin ich recht früh raus, weil ich es bis hierher schaffen wollte, was auch kein Problem war. Wie schon gesagt, aber das kann man gar nicht oft genug erwähnen, die ersten 30 km waren einfach ein Traum: wunderbare Landschaft und meistens bergab.

So früh war mal wieder außer mir niemand unterwegs. Auch sonst war es ganz gut, dass ich die Strecke sonntags gefahren bin. Es waren zwar Tanklastzüge und Container unterwegs, oder im Straßengraben, aber lange nicht so viele wie an den Tagen zuvor. Die Landschaft war eigentlich immer wunderbar, viele unterschiedliche Palmen und schöne Büsche, aber später ging es dann auch ganz schön auf und ab. Außerdem merkt man wieder an der Hitze, dass ich ganz schön an Höhe verloren habe. Aber der Wind kam dann der Kühlung zugute. Nach der Abzweigung Richtung Tamatave ging es richtig jojo-mäßig zu: 100 m rauf, 100 m runter, dann wieder rauf, dann wieder runter. Hier ist es ein ganz anderes Madagaskar als der Rest der Insel.

Nicht nur die Landschaft ist vielseitiger, auch die Bevölkerung. Es gibt auch hier die ganz Armen, andererseits sind hier auch noch recht viele Weiße ansässig. Außer in Morondava und Tulear habe ich keine weißen Autofahrer gesehen. Hier sind einige unterwegs. Meistens in Passats, die man sonst auch nicht sieht. Noch in der Nähe von Tana wurde dagegen für Audi und VW ganz schön Werbung gemacht. Das hat für mich äußerst positive Wirkung, es interessiert sich kein Schwein für mich. Endlich kann ich mich in Ruhe hinsetzen, ausruhen, was essen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, denn hier gibt es auch richtig dicke Madagassen, wie sonst nirgends.

Toamasina (Tamatave), 111 km, Montag, 23.10.2006

Nach dem Preis müsste das hier eine Luxusabsteige sein, ist es aber nicht gerade. Wahrscheinlich haben sie den Preis hier verdoppelt und in jedes Zimmer einen Fernseher gestellt, den man ja unbedingt braucht, nachdem es in meinem Reiseführer als „very good value choice“ beschrieben wurde. Als ich hier ankam, war ich fix und fertig und wollte nicht mehr mit dem ganzen Gepäck weiter. Schlussendlich dachte ich, es ist ja nur für eine Nacht. Dafür habe ich mal wieder ausgiebig warm geduscht.

Die Stadt selber ist für Fahrradfahrer ein Horror. Man muss sich nicht nur gegenüber Taxi-Brousse behaupten, sondern auch mit den Millionen Pousse-Pousse. Jede Straße hat ihren eigenen Sandstrand auf dem Seitenstreifen, die Rennstrecke für Pousse-Pousse. Von hinten kommen Lastwagen angebraust und nebenher muss man irgendwie den Weg finden, ohne irgendwelche Straßennamen. Ich war dann recht froh, als ich das Hotel fand. Die Frau an der Rezeption war die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt, dass Madagassen überaus gastfreundlich sind. Sie hat diesen Charakterzug wahrscheinlich all den anderen abgegeben, was für mich andererseits eine Genugtuung war, denn bei all den netten Leuten komme ich mir gar garstig vor. Wenigstens hatte sie ein Grinsen auf dem Gesicht, als sie mir den neuen Preis verkündigte und gleich im Nachsatz, dass alle billigeren Zimmer schon besetzt sind! Theoretisch hätte ich ja immer noch Nein sagen können und mit dem ganzen Gepäck eine andere Bleibe suchen. Aber allein der Gedanke daran war schrecklicher als der Preis. So war die Entscheidung recht schnell getroffen.

Aber die Strecke von Brickaville war mal wieder fantastisch: Palmen ohne Ende und unglaublich dicke, lange Bambusse.

Es war aber wie befürchtet ein ewiges Auf und Ab. Es gibt zu den schon bemerkten Unterschieden zum Rest von Madagaskar noch einen, und zwar sind die Häuser nicht aus Lehm oder Ziegeln – es werden nirgends Ziegel gebrannt –, sondern aus Bambus oder kunstvoll aus Bast oder so was geflochtene Wände. Meistens sind sie auf Pfählen. Hier in der Stadt ist das natürlich auch anders. Ganz normale Häuser sind hier, mehr oder weniger verfallen.

Da es noch relativ früh war und ich wusste, dass es einen Supermarkt gibt, bin ich wieder los. Als ich so durch die Stadt tingelte, mit Fahrrad natürlich, aber ohne Gepäck, was gleich viel angenehmer war, stieg mir auf einmal ein sehr starker Duft nach Nelke die Nase hoch. Diesem bin ich gefolgt und sah unten in einem Haus zig Menschen auf dem Boden sitzen, die Gewürznelken sortierten.

Manche in unseren Landen meinen, sie müssten sich über ihren Arbeitsplatz beklagen, ohne zu wissen, was sonst noch möglich wäre.

Foulpoint (Mahavelona), 75 km, Dienstag, 24.10.2006

Im Regenwald, da regnet’s halt! – und noch so ein kreativer Erguss: Mit Palmen und Melonen, tun sich belohnen, die Madagassen ohne Strapazen! So was kommt natürlich nur beim richtigen Ambiente zustande. Das war heute einer der besten Radlertage. Obwohl das ja so gar nicht vorgesehen war. Eigentlich wollte ich nur die paar Kilometer bis zum Zoologischen Garten fahren, in dem es auch einen Campingplatz gibt. Deswegen konnte ich mir mit dem Aufbruch in Tamatave auch recht viel Zeit lassen und noch mal kurz shoppen gehen. Das Zimmer habe ich bis Mittag bezahlt, und wo immer ich bin, ich bin und bleibe Schwäbin! Den ganzen Vormittag hat es nur ganz leicht geregnet, so dass ich es nicht für nötig empfunden habe, meine Regenjacke rauszuholen.

Meine kreative Phase hatte ich nicht auf den ersten Kilometern raus aus der Stadt. Das kam erst nach ungefähr 30 km. Zuerst musste ich mich durch Regen, Verkehr und Schlaglöcher kämpfen. Die letzten 4 km bis zum Zoologischen Garten waren auf einer Dirt Road, aber wunderbar durch einen Wald, entlang eines Flusses, auf dem sich Pirogen tummelten. Der ‚Campingplatz‘ hat mich gar nicht angemacht. Da war nichts außer Tisch und Bänken, kein Dach oder sonst ein Unterschlupf. In Anbetracht dessen, dass ich noch mit mehr Regen gerechnet hatte und es noch recht früh am Tag war, habe ich kurzerhand beschlossen, gleich wieder umzukehren und weiterzufahren. Was soll ich auch so alleine im Regen im Wald (= Regenwald)? Ab da wurde es besser, Regen und Verkehr hörten auf. Die Luftfeuchtigkeit ist hier aber wahrscheinlich bei 94 %. Die Strecke war fast eben, ohne langweilig zu sein. Es ging um viele Kurven, mal direkt am Meer, mal ist eine Düne dazwischen, mal lief sie zwischen Kanal und Meer und immer viele, viele Palmen.

Auf einmal gab es auch Wassermelonen an Ständen zu kaufen. Leider sind die da ja viel zu groß und so ein zugeschnittenes Stück erweckte nicht gerade meinen Appetit. Wer weiß, wie lang die da schon liegen. Hauptsache die Mücken hatten ihren Spaß. Das Fahren habe ich heute so genossen, dass ich sogar nebenbei die Madagassen mit meinem Gesang erfreut habe. Das ist hier auch anders als anderswo, die lachen alle, wenn sie mich sehen. So hat auch die Tour für andere etwas Gutes.

Dies hier ist ein recht nettes Dorf. Von drei Jungs habe ich mich zu meinem Bungalow geleiten lassen. Die Anlage ist sehr nett, sehr einfachen Hütten, aber mit Dusche und WC. Für mich habe ich beschlossen, wenn es weniger als 20.000 kostet, bleibe ich 2 Nächte. Prima – es kostete nur 16.000. Es sieht fast so aus, als ob ein Urlaubstag bevorsteht.

Foulpoint, 0 km, Mittwoch, 25.10.2006

Der Indische Ozean ist einfach nichts zum Schwimmen, eher zum Wandern, Aqua-Hiking oder ‚Nautic Walking‘ wäre wahrscheinlich werbewirksamer. Wenn ich mich ganz flach hingelegt habe, war ich gerade mal mit Wasser bedeckt. Nach einigen 100 m hatte es dann die Höhe einer Badewanne. Die Temperatur war gerade noch so, dass es erfrischend war. So verbrachte ich den Nachmittag, halb im Wasser.

Den Vormittag ging auch ohne größere Aktionen vorüber: einfach rumlümmeln, Postkarten schreiben, lesen, schreiben, schwitzen, trinken und Pirogenfahrer abwimmeln. Das süße Nichtstun – aber ein Tag reicht! Auf dem Fahrrad ist es einfach angenehmer. Es gibt kaum mehr Touristen, deswegen stürzt sich alles, was etwas zum Anbieten hat, auf einen. Ketten, Ketten, Muscheln, Kokosnüsse und immer wieder Pirogenfahrten. Meistens ist das Alter der Verkäufer bei 10-13 Jahre. Da ich ja eh nichts Besseres zu tun hatte, habe ich sie in ein Gespräch verwickelt.

  • wunderbare Ketten, prix spécial – habe schon Ketten,
  • aber diese sind speziell,
  • du kennst meine nicht,
  • aber die sind wirklich speziell

etc., dabei hatte der Bengel ein Grinsen auf dem Gesicht, als ob es ihm eigentlich auch nicht so sehr um das Verkaufen gehen würde. Auf meine Frage, warum sie denn nicht in der Schule sind, kam entweder, die Lehrerin ist krank oder sie hätten kein Heft. Einem habe ich dann versprochen, ich kaufe ihm ein Heft, wenn er mir verspricht, dann in die Schule zu gehen.

Fenoarivo (Fenerive-Est), 67 km, Donnerstag, 26.10.2006

Die jüngsten Geschwister sind immer der Arsch, auch hier, nur hat man hier mehr Chancen, dass man nicht lange das Jüngste bleibt! Diese wertvolle Beobachtung hatte ich heute am ‚Strand‘ gemacht – Strand in „Anführungsstrichen“: es gibt Wasser, es gibt Sand, aber es war trotzdem nicht einladend.

Nur Kinder, außer den jüngsten Geschwistern, haben sich im Wasser getummelt. Die armen Kleinen mussten derweil die Kleider und Schuhe der Großen umhertragen.

Die madagassische Angewohnheit, zur Mittagszeit irgendwohin zu liegen, bekommt mir mittlerweile auch sehr gut. Die paar km von Foulpoint hierher habe ich auch schnell bewältigt, habe mir noch Mahambo angeschaut, wo ich auf dem Rückweg nächtigen werde. Zur Mittagszeit habe ich schon mein Gepäck in meiner nächsten Unterkunft abgestellt. So konnte ich mich ungehindert zwischen die Schlafenden legen. Ich habe mir dafür die Mauer am Strand rausgesucht. Wirklich äußerst angenehm, während der Mittagszeit im Schatten in der sanften Brise zu liegen. Um das Ganze noch zu steigern, habe ich noch Musik gehört.

Nach einer Weile haben sich zwei Schülerinnen zu mir gesetzt. Nur unwillig ließ ich mich unterbrechen, aber das Stück war eh bald zu Ende, so konnte ich mich auf ein Gespräch einlassen. Schließlich wollte ich auch etwas von ihnen: Warum nicht auch was für die historische Bildung tun und die alte Festung aufsuchen? Nur mein Reiseführer ist der schlechteste, den ich je hatte. Mehr als einen Hinweis, dass es ein Piratenfort hat, steht nicht drin. Also musste ich eh jemanden fragen, warum dann nicht gleich die zwei Schülerinnen? Sie wussten gleich, wovon ich sprach und wollten mich dahin begleiten. Nach meinen Erfahrungen nahm ich gleich an, sie sind auf ‚Souvenirs‘ aus. Da ich rausradeln wollte, fragte ich zuerst mal, ob sie Fahrräder hätten. Sie meinten, dass man auch zu Fuß hingehen könnte. Eines verrät mein Reiseführer noch: es sind ungefähr 3 km und ich hatte keine Lust, 6 km zu gehen. Sie hatten natürlich kein Fahrrad, aber sie wollten sich unterwegs eines besorgen. Ständig haben sie dann darüber diskutiert, wo sie eines herbekommen könnten. ‚Bicyclette‘ war das Einzige, was ich wirklich von dem Madagassisch verstanden habe. Leider hatte der eine, den sie aufsuchten, sie wieder so laufen lassen. War wahrscheinlich gerade kein Fahrrad da.

Hier in Fenerive ist der erste Ort, in dem sie auf die Idee gekommen sind, ein Pousse-Pousse an ein Fahrrad anzuhängen. Fahrradfahren ist doch einfacher und schneller, als die ganze Zeit in der Gegend rumzurennen. Sie kannten natürlich auch einen der Rikschafahrer. Aber das sahen sie selber ein, dass der Preis zu teuer war, wobei ich nicht richtig mitbekommen habe, wie viel es überhaupt war. Schließlich, als es anscheinend nur noch geradeaus war und man ganz vage, auf einem alten verrosteten Schild den Hinweis darauf erkennen konnte, meinte ich, ich könne auch selber geschwind dahin fahren und sie könnten ja hier warten. Also fuhr ich los. Geradeaus hat schon gestimmt, nur konnte ich es zuerst nicht glauben und bin den Weg entlang weitergefahren, der eine leichte Linkskurve machte und bin schließlich in einer Schule gelandet. Ich hätte wirklich den Trampelpfad weiter fahren müssen. Also umdrehen und ins ‚Gebüsch‘. An einem Fluss hat man gesehen, dass es hier mal eine richtige Brücke gab. Jetzt war diese eingestürzt und mit ein paar Holzplanken ersetzt.

Da diese ‚Brücke‘ nicht sehr hoch und der Fluss nicht so tief war, wagte ich samt Fahrrad überzusetzen. Danach ging es trampelpfadig weiter, bis es durchs Gebüsch den Berg hoch ging. Dies scheint wirklich nicht ein Ort zu sein, der häufiger von Touristen oder sonst jemand aufgesucht wird. Von weitem war schon ein Turm zu sehen. Der stammte aber eher aus dem 20. als aus dem 17. Jahrhundert. Wenn man genau hinsah, konnte man dahinter, total verwuchert, die alte Mauer entdecken.

Es ist schon erstaunlich, wie die Madagassen mit ihrer Geschichte umgehen. Schließlich war das mal die erste Hauptstadt der Betsimisaraka, deren König zum ersten Mal alle Stämme im Osten vereinigt hat. Eine der ersten Fusionen, um der Synergien willen. Anscheinend spielt die Vergangenheit genauso wenig eine Rolle wie die Zukunft, außer für meine Schülerinnen. 17 Jahre sind sie anscheinend, ich glaube eher 14-15. Die musste ich in Pose fotografieren und jetzt träumen sie von deutschen Ehemännern, die ich ihnen mit den Fotos suche.

Wahrscheinlich haben sie noch nie einen deutschen Mann gesehen. Hier hat fast jeder Mann einen Astralkörper. Die Vorteile eines Deutschen sind: er ist weiß, hoffentlich auch groß und blond und hat im Vergleich zu den Madagassen auf jeden Fall Geld. Zurück in der Stadt habe ich sie noch zu einem Joghurt und Keksen eingeladen und hundertmal versprechen müssen, dass ich sie nicht vergessen werde! Im Restaurant, das zu meiner Unterkunft gehörte, habe ich noch zu Abend gegessen: Pommes mit gegrilltem Hähnchen. Als ein Teller voller Pommes kam, habe ich mir überlegt, ob ich damit schon mal anfangen sollte, oder auf das Hähnchen warten soll. Auf einmal sah ich, dass unter den Pommes ein paar Knochen hervor schauten. Kein Wunder, dass viele so schlank hier sind. Mir war es auch recht, so arg Hunger hatte ich dann auch nicht.

Soanierana Ivongo, 67 km, Freitag, 27.10.2006

Da kann man sich wirklich daran gewöhnen: ein halber Tag radeln und ein halber Tag rumhängen. Es ist eh für sportliche Betätigungen fast zu warm. Und mit der Kühle kommt dann auch gleich die Dunkelheit. Aber das, was ich geradelt bin, hat mal wieder richtig Spaß gemacht und ich freue mich, dass ich morgen wieder mehr fahren darf. Die Strecke ist so schön, dass es mir überhaupt nichts ausmacht, im Gegenteil, ich freue mich ja darauf, dass ich die Strecke wieder zurückfahren darf. Die zweite Hälfte des Tages habe ich am Fluss Marimbona verbracht, fast direkt an der Mündung ins Meer. Hier ist auch das Ende des geteerten Teils von der RN 5. Die, die trotzdem weiter wollen, können mit einer Piroge übersetzen.

Für Autos ist auch eine richtige Fähre da, die bisher zweimal fuhr. (In wie viel Stunden? Ich saß ganz schön ewig hier). Eigentlich kommen Touristen hierher, um zur Touri-Insel Sainte Marie überzusetzen oder mit dem Boot weiter nach Norden zu fahren. Weiter nördlich kommen noch ein paar interessante Plätze, wie Maroantsetra oder Masoala. Das bleibt mir leider für dieses Mal vorenthalten. Die Insel erspar ich mir auch. Am Strand rumliegen ist einfach nichts für mich und sehr viel mehr kann man da auch nicht machen.

Zum Glück ist der Ort hier recht klein. Bald haben es alle gewusst, dass ich wirklich kein Boot brauche, um irgendwohin zu kommen, sondern dass ich einfach da bleibe. Es gibt keine Touristenattraktionen und der Strand ist nicht zum Schwimmen. Warum, weiß ich auch nicht, auf jeden Fall tut es niemand und dann ist es besser, es auch bleiben zu lassen. Es gibt hier auch Haie.

Wie üblich gibt es hier auch einen Markt, leider außer Bananen kein anderes Obst. Auch sonst ist er nicht sehr abwechslungsreich, hauptsächlich Tomaten und irgendwelches Grünzeug. All die Gewürznelken, die auf dem Weg hierher getrocknet wurden, sind anscheinend für den Export bestimmt.

Der Geruch stimmt schon mal auf Weihnachten ein, bei längerer Inhalation wird es einem aber recht schummrig. Unmengen werden hier geerntet und ich fragte mich, wie die Pflanze, auf der die Nelken wachsen wohl aussehen mag, bis ich schließlich am Wegesrand ältere Frauen sitzen sah, die aus einer Blüte die Nelken rauszupften. Das war ein wichtiger Hinweis, denn bald darauf sah ich die Frauen, wie sie von den Bäumen diese geerntet haben. Schon allein die Leiter war ein Hinweis dafür. Es wächst praktisch wie Lindenblüten.

Der Vorteil von einem Nichttouristenort ist, dass nicht ständig jemand was verkaufen will. So hatte ich heute weitgehend meine Ruhe. Die Stimmung am Fluss war sehr schön, nur als ich dann bei Sonnenuntergang Tagebuch schreiben wollte, war eine Horde von Mädchen um mich herum. Und die waren überhaupt nicht so zimperlich, von dem Sicherheitsabstand, den ich sonst gewohnt war, wussten die nichts. Sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes anhänglich. Ein paar sahen schon erbärmlich arm aus. Sie gehen wenigstens teilweise in die Schule, können lesen und Französisch. Als es fast dunkel war, ist der Großteil auf einmal verschwunden und ich habe mich dann auch verabschiedet. Jetzt sitze ich vor meinem Bungalow, wo ich von fliegenden Käfern belästigt werde.

Mahambo, 83 km, Samstag, 28.10.2006

Die Rückfahrt war mindestens genau so ein Genuss wie die Hinfahrt. Es kam ein stärkerer Wind auf, von der Seite, das hat das Ganze noch in die Länge gezogen und es war lange nicht so heiß.

Es gibt hier wirklich unglaublich verschiedene Palmenarten. Wenn ich die Strecke noch ein paar Mal fahren würde, würde ich sicherlich noch ein paar entdecken. Auch die anderen Pflanzen sind sehr vielseitig. Zum Beispiel gibt es einen riesigen Baum, der wie ein Baumwollbaum aussieht, lauter flauschiges Etwas anstatt Äpfel oder Birnen, aber so hoch wie der Baumwollbaum ist, könnte man die eh nicht ernten. Es gibt auch Nadelbäume, bei denen die Nadeln direkt aus dem Stamm rauskommen. Sie haben dann nur noch wenige, dicke Äste. Schon recht interessant und vielseitig, „Biodiversity“, wie hier das Schlagwort heißt.

Wie schon ganz zu Anfang erwähnt, ist man selten allein, wenn man hier Fahrrad fährt. Denn viele Madagassen fahren auch Fahrrad und mit mir anscheinend besonders gerne. Eigentlich habe ich ja nichts dagegen, wenn mir jemand hinterherfährt, nur das Geschepper, Geklapper und Gequietsche, das macht mich dann im wahrsten Sinne des Wortes rasend. Sobald es bergauf geht, schieben die Madagassen. Sie haben nur einen Gang, mit oder ohne Schaltung, denn diese funktioniert so gut wie nie. Ganz schön frustrierend, wenn ich dann so mit all dem Gepäck überhole. Berg runter bin ich dann auch schneller, denn die getrauen sich nicht so schnell zu fahren. In den seltensten Fällen haben die Räder Bremsen. Gebremst wird wie beim Inlineskaten: man fährt einfach in die Wiese oder mit der Schuhsohle gegen den Vorderreifen, sofern man überhaupt Schuhe anhat. Nur in der Ebene, da holen sie mich ein. Auch ist zu erwähnen, dass sie selten alleine auf dem Fahrrad sitzen. Meistens sitzen zwei, wenn nicht sogar drei, drauf – wohlgemerkt, wir sprechen hier nicht von Tandems, sondern fast ganz normalen Fahrrädern. Gut, wenn man als Mädchen einen Freund oder großen Bruder hat, dann wird man in die Schule gefahren.

Als ich so lang fuhr, hörte ich auf einmal Musik. Bei ein paar Hütten waren ein paar Frauen beim Tanzen. Natürlich bin ich stehen geblieben und war wie üblich gleich von einer Horde von Leuten umgeben. Leider waren die Männer leicht angetrunken, sie tanzen ja nicht. So viel habe ich trotzdem rausbekommen, es ist ein Todesfest, „Fête de la Morte“. Der 1. November ist auch hier Allerheiligen, das feiern sie jetztdrei Tage in fröhlicher Ausgelassenheit. Das ist das, was mir an der madagassischen Kultur sehr gefällt, für sie ist der Tod etwas Natürliches, sie freuen sich schon fast darauf. Die Einladung dazubleiben, habe ich dann doch lieber abgelehnt, es ist mir zu viel Alkohol im Spiel.

In Mahambo kann ich endlich wieder zelten und das fast direkt am Meer. Das Wasser ist hier viel stürmischer, hohe Wellen und es ist tiefer. Da lohnt es sich endlich mal, ins Wasser zu gehen. Also habe ich mir gleich noch ein Bad gegönnt, bevor ich vor meinem Zelt ein Süppchen gekocht habe. Ach, ist das schön hier, so lässt es sich leben.

Mahambo, 13 km, Sonntag, 29.10.2006

Dank eines Schweizer Pärchens wurde dieser Regentag doch noch ganz schön. Auch sonst bin ich weit davon entfernt, mich zu beklagen, hatte ich doch so viele Sonnentage. Heute wäre sowieso nur mein Strandtag gewesen. Nach einer regenreichen Nacht ist es heute Morgen eigentlich noch recht schön gewesen. Bevor ich mich an den Strand begab, wollte ich zuerst noch ein bisschen Fahrrad fahren, einen ganzen Tag am Strand halte ich ja doch nicht durch. Es war dann kurz vor 12, bevor ich an den Strand kam, ich merkte gleich, da kann ich nicht lange bleiben. Es waren ganze 30 Minuten. Dann hat es angefangen zu regnen und praktisch nicht mehr aufgehört. Ein Schweizer Pärchen hat mir angeboten, ich könne mich in einen von ihren Liegestühlen vor ihrem Bungalow legen. Sehr nett. Da kam ich nicht mehr weg. Ich habe gelesen, ein Hörbuch gehört oder wenn sie auch da waren, habe ich mich natürlich mit denen unterhalten. Nicht mal zum Teekochen bin ich gekommen. Es hat wirklich ständig geregnet. Recht ungewöhnlich, meinten die Leute hier. Eigentlich sollte es erst am Abend anfangen. Auch sie werden wahrscheinlich nicht von dem Klimawandel verschont.

Außer dass ich nicht mehr ins Meer konnte, habe ich an dem Tag nichts vermisst. Der Liegestuhl war recht bequem, so wäre es am Strand nicht gewesen. Hier ist einer der einzigen Orte, wo man richtig schwimmen kann. Es ist hier ein haifreies Gebiet. Die zwei Schweizer waren hier eine ganze Woche und haben einen Surfkurs gemacht. Anscheinend waren die anderen Teilnehmer Sprösslinge von reichen Madagassen aus Tana. Was es nicht so alles gibt. Bin eigentlich ganz froh, dass der Kurs vorbei war, als ich ankam. Aber auch am Abend hatten sie mich noch nicht los. Ihre Schuld, wenn sie mich fragen, ob ich mit zum Essen will. Dann müssen sie damit rechnen, dass ich Ja sage. Aber so einen Abend mit deutscher Unterhaltung wollte ich nicht ablehnen. So habe ich dann auch erfahren, dass bei Toliara ein Flugzeug abgestürzt ist. Ich lebe ja sonst hier in einer totalen nachrichtenfreien Zone, nicht mal die Wetterkarte interessiert mich. Hoffentlich wissen die daheim, dass ich an der Ostküste bin und Toliara an der Westküste ist.

Tamatave, 98 km, Montag, 30.10.2006

Heute war mein sozialer Tag. Zuerst musste ich wieder durch Foulpoint. Weil dies die einzige Stadt vor Tamatave ist, habe ich haltgemacht und wurde gleich von dem Jungen erkannt, dem ich ein paar Tage zuvor versprochen hatte, dass ich ihm ein Heft kaufe, damit er in die Schule kann. Dies wollte ich auch tun, ich habe ihn nur nicht mehr gesehen. Also kaufte ich ihm ein Heft, aber schrieb gleich seinen Namen darauf. Er hat mir dann auch versprochen, dass er am nächsten Tag in die Schule geht. Was ich ja weniger glaube, was sehr schade ist, denn er ist ein nettes, schlaues Bürschchen.

Zurück in Tamatave wollte ein kleiner Junge, dass ich ihm einen Teller Reis kaufe. So was kann man ja einem armen Kind nicht abschlagen. Außerdem ist dies normalerweise nicht so teuer. Aber dieser Schlawiner hat sich ein „Luxusrestaurant“ rausgesucht. Bis ich dazu kam, hatte er schon bestellt. Nicht nur Reis, sondern auch Fleisch dazu. Das wurde dann erheblich teurer, als das, was ich mir gönne. Er bekam dann auch einen großen Teller voll. Ich hätte dort bleiben sollen und sehen, ob er auch alles aufgegessen hat.

Die Fahrradfahrt war mal wieder ein Genuss, fast immer hatte ich Begleiter. Am Anfang waren es für ungefähr 10 km zwei Jungs, das war noch ganz witzig. Die Armen, die haben morgen sicherlich Muskelkater. Ich fühlte mich noch recht fit und genoss das schnellere Fahren. Die zwei konnten kaum mithalten. Aber dafür waren sie wahrscheinlich noch nie so schnell in der Schule.

Auf der letzten Etappe hat sich noch mal ein Radfahrer an mich rangehängt, aber irgendwie hat der genervt. Ich kann nicht mal sagen, warum. Wahrscheinlich lag es gar nicht an ihm. Ab und zu fuhr er auch neben mir. Das kann ich ja gar nicht leiden, weil es viel zu gefährlich ist. Trotzdem bemühte ich mich redlich, ruhig zu bleiben. Schließlich ist das ja ihr Land und ich bin hier nur Gast. In einem Dorf an einem Stand hielt ich dann an, diesmal wollte ich zur Abwechslung nichts essen, nur den Typ loswerden. Aber der hielt auch an, ein paar hundert Meter weiter. Wutschnaubend stand ich ein paar Minuten rum, bis ich mich ganz schnell aufs Rad schwang und losgedüst bin. Wahrscheinlich hat er gleich gemerkt, dass er mir nicht mehr hinterherkommt, denn er blieb lieber gleich stehen.

Nach den zwei Nächten im Zelt, dachte ich, kann ich mir mal das Miramar gönnen, natürlich nur die günstigste Variante. Mir gefällt es hier, es ist direkt am Meer und hat ein 50-m-Schwimmbecken. Mein Bungalow ist einer der hintersten. Natürlich kommen die luxuriösen zuerst. Für mich ist das genial, ich bin hier recht abgeschieden, konnte mir hier mein Süppchen kochen und genieße das Rauschen des Meeres. Ab morgen gibt’s das auch nicht mehr. Das Ende naht mit riesigen Schritten.

Antananarivo, 20 km, Dienstag, 31.10.2006

So geht die Reise recht schnell zu Ende. Und wieder bin ich im Hotel Sakamanga. Es ist einfach nett hier, ein richtiger Ruhepunkt in dieser schrecklichen Stadt. Da morgen Feiertag ist, musste ich gleich heute Souvenirs einkaufen gehen. So viel Geld habe ich noch nie an einem Tag hier ausgegeben. Das hat aber schon heute Morgen auf dem Flughafen angefangen. 15 kg Übergepäck, das kostet auch hier. Dieses Mal war es auch nur Economy und nicht Business, also 20 anstatt 30 kg Freigepäck. Danach hatte ich nicht mehr viel Geld. Wenn man dann Geld holen geht, ist es wie wenn man hungrig einkaufen geht, man holt zu viel. Nie hätte ich gedacht, dass ich das so leicht wieder loswerden kann. Was hier wirklich günstig ist, ist was der Madagasse für sein tägliches Leben braucht. Sobald es aber davon abweicht, wie z.B. Postkarten und Briefmarken, und dann ganz besonders Souvenirs, sind es fast europäische Preise.

In der Stadt hat mich dann wieder alles Elend überrumpelt. Ich hatte das Gefühl, alles hängt sich an mich. Die reichen Madagassen werden in Ruhe gelassen. Obwohl, gerade auf die sollten sie los. Da liegt eher die Lösung ihres Problems.

Richtig erleichtert war ich, als ich einen Franzosen traf, den ich schon in Morondava und Ambalavao gesehen hatte. Aber auch mit ihm war ich das „Opfer“, es hieß nie „Messieurs“ sondern nur „Madame, Madame, prix spécial extra pour vous. … Madame d’argent, Madame mangere, – Madame hier – Madame dort…“ Sie sollten mal auf die reichen Madagassen losgehen, die gibt es auch zu Genüge, dann sehen diese vielleicht auch mal, dass etwas nicht stimmt.

Mit Patrick noch ein bisschen zu bummeln, war noch ganz nett. Danach ging es zurück ins Hotel, in dem ich noch mein Abendbrot vor dem Fernseher vertilgt habe. Wenn man schon für den ganzen Luxus bezahlt, sollte man ihn auch nutzen. Selbst in Afrika bin und bleibe ich Schwäbin. Es war so nett, dass ich mir überlegt habe, das Zimmer für noch eine Nacht zu buchen, auch wenn ich schon um 22:30 Uhr auf den Flughafen muss.

Antananarivo, 14 km, Mittwoch, 01.11.2006

So, gleich schlägt es die letzte Stunde. Aber vorher gibt es noch die „Henkersmahlzeit“. Dieses Hotel Sakamanga gefällt mir immer mehr. Schon alleine das wäre ein Grund, nochmals herzukommen.

Vorher war ich wahrscheinlich ein bisschen zu masochistisch drauf, ich war im Internet und habe das Wetter in Deutschland angeschaut, als ob es nicht reicht, wenn es einen wirklich einholt. Es war alles andere als motivierend, wieder nach Europa zu fliegen. Als ich für die folgende Nacht nochmals ein Zimmer hatte, bin ich los, zu schauen, ob ich nicht doch noch irgendwo Geld loswerden kann. Kaum zu glauben, aber fast alle Geschäfte waren zu. Dafür war es auch sehr viel ruhiger. Außerdem weiß mittlerweile jeder Taxifahrer, dass ich wirklich kein Taxi möchte.

Ansonsten hat die Stadt nicht viel zu bieten. Deswegen bin ich zurück in mein Hotel und habe das Fahrrad geholt. Es gab tatsächlich noch einen Hügel, den ich noch nicht erklommen habe, und zwar einer der bedeutendsten, da wo das Schloss der verrückten Königin Ranavalona darauf steht, das Königshaus, bei dessen Bau ganz schön viele Sklaven draufgingen, weil sie riesige Baumstämme von der Küste in das Hochland schleppen mussten. Das Ganze war fast nur aus Holz, so konnte es auch fast ungehindert wieder abbrennen. Das war noch gar nicht so lange her, ca. 1996. Dabei ist, glaube ich, niemand draufgegangen.

Weil dieses Gebäude für Madagassen doch recht wichtig ist, ein richtiges kulturelles Erbe, wollte man es wieder herrichten. Aber da es mit Sklaven heutzutage nicht sehr gut aussieht, würde das Ganze recht teuer kommen. Trotzdem, das, was scheinbar noch übrig ist, soll lohnenswert genug sein, um sich die Strapazen des Hochradelns auf sich zu nehmen. Oben angekommen hatte ich zwar eine prima Aussicht in praktisch alle vier Himmelsrichtungen, aber das Gelände, auf dem die Ruinen des alten Königsschlosses stehen, war abgesperrt – wegen Renovierung!

Also haben sie doch Geld lockergemacht. Aber irgendwie beschlich mich das Gefühl, falls ich in 10 Jahren wiederkommen sollte, hat sich an dem Zustand nicht viel geändert. Zumindest wurde ich oben von einem der Wärter empfangen, ich sei die Erste, die hier mit dem Fahrrad ankommt.

Da oben gibt es auch noch ein Museum, aber darauf hatte ich keine Lust. Dazu war das Wetter viel zu schön. Ich wollte viel lieber Rad fahren – etwas kann mit mir nicht stimmen, nachdem ich doch schon fünf Wochen mit dem Rad unterwegs war, habe ich immer noch nicht genug. Mit Freuden bin ich auf der anderen Seite den Berg wieder runtergedüst – bis ich mich in einer Sackgasse wiederfand. Da ging absolut nichts weiter. Hauptsache die Kinder haben sich gefreut, hier mal eine Vazaha auf dem Fahrrad zu sehen. Also bin ich wieder umgedreht und zurück in die Innenstadt, noch ein paar Gegenden auskundschaften, die ich noch nicht kannte, was sich auch nicht als allzu lohnenswert herausstellte. Es war recht unangenehm. Da auf dem Gehweg die ganze Ware ausgelegt war, war die Hälfte der Straße voll von Fußgängern. Zwischen diesen und den Bussen musste ich meinen Weg suchen. Dann doch lieber wieder zurück ins Hotel. Das Rad muss ja auch noch auseinandergebaut werden. Dank sehr netten Helfern, ging dies recht flott.

Flughafen Paris Orly, Donnerstag, 02.11.2006

Auf dem Flughafen in Tana wartete noch eine nette Überraschung auf mich. Zuerst hatte ich ganz normal eingecheckt und war dann an einem Schalter, wo ich die Gebühr für mein Fahrrad zahlen musste. Da hat man festgestellt, dass ich ja nur nach Paris eingecheckt bin und ich mein Gepäck dort abholen muss. Das hat mich doch schon sehr erstaunt. Schließlich fand die Frau raus, dass ich dort den Flughafen wechseln muss. Na prima. Nach einer Schimpftirade meinerseits über Air France, musste ich doch der Frau Recht geben, die meinte, ich hätte das ja auch schon früher sehen können. Stimmt, das war mir jetzt wirklich eine Lehre. Ich versuchte mich zu beruhigen, Verzweifeln führt zu nichts und das Problem kann ich so auch nicht lösen.

Der Flug von Mada nach Paris war nicht sehr angenehm. Ich konnte nicht schlafen, hatte keinen Platz am Gang. Zuerst konnte ich noch Filme anschauen, aber dann war es mir so schlecht, dass ich nur noch hoffte, dass alles bald vorüber ist. Die Übelkeit ging auch wieder vorüber und ich konnte noch einen Film anschauen. Außer dass es sehr viel Zeitverschwendung war, den Flughafen zu wechseln – ich sah nämlich, dass kurz nach meiner Landung ein Flug von Charles de Gaulle nach Mülhausen ging –, war es kein Problem. Hat mich nur 16 Euro extra für den Airport Bus gekostet, das Fahrrad ging umsonst mit. Dafür habe ich auch den Eiffelturm gesehen. Ansonsten einmal mehr auf das Gepäck warten und wieder einchecken ist recht nervig. Die 80 Euro wieder für mein Fahrrad habe ich denen ganz schön schnell wieder ausgeredet. So, jetzt trennten mich nur noch ein paar Stunden von meinem Heimatflughafen.

Nachworte:

Unterwegs auf Madagaskar habe ich Leute getroffen, Rucksackreisende und sehr wenige Reiseradler, denen hat es auf Madagaskar nicht so gefallen. Für mich steht allerdings fest, das ist eines der besten Länder, die ich mit dem Fahrrad bereist habe. Die Madagassen sind äußerst gastfreundlich, man findet überall was zum Übernachten. Da die Abstände zwischen den Dörfern nicht so weit sind und dank dem Präsidenten überall ein Tico gibt, hat man auch mit Wasser selten Probleme. Wenn es nicht gerade zu heiß ist oder während der Regenzeit, ist das Wetter fantastisch. (Darum wurde es auch in dem Bericht äußerst selten erwähnt). Nur als ich an der Ostküste war, hätte ich noch ein bisschen mutiger sein können und weiter auf der Dirt Road in den Norden. War aber einfach zu bequem. Außerdem habe ich ja noch als Ausrede die Regenzeit, den Flug von Tamatave und man muss sich ja noch was für den nächsten Besuch aufheben. Die Route steht auch schon fast, dann geht es ganz in den Süden und ganz in den Norden.

Bevor ich gefahren bin, dachte ich, dass es für so eine Reise, um das ursprüngliche Madagaskar mit den „unverdorbenen“ Leuten kennenzulernen, fast schon zu spät ist, dass der Tourismus schon überhandgenommen hat. Das war aber zum Glück nicht der Fall. Jetzt bin ich davon überzeugt, dass ich gerade den richtigen Zeitpunkt erwischt habe. Der Tourismus beschränkt sich nur auf wenige Orte, in die man direkt fliegt oder mit dem Geländewagen hindüst. So bleibt der größte Teil Madagaskars noch unberührt. Auf der anderen Seite kam ich schon in den Genuss von ein paar geteerten Straßen, die noch komplett unbefahren sind. So wurde das eine meiner schönsten Radreisen.

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